Konzertante Opernaufführungen setzen sich immer mehr durch. Völlig unabgelenkt von irgendwelchen Regiemätzchen kann man sich allein der Musik hingeben. Teodor Currentzis war mit seinen musicAeterna-Ensembles (Chor und Orchester) aus dem russischen Perm in die Elbphilharmonie gekommen, um Verdis La traviata hier allein musikalisch wirken zu lassen: ein Versprechen auf puren Klang, das glorios erfüllt wurde!
Verdi hat in La traviata sehr viel Emotion gewagt, in dieser Geschichte der Pariser Edelkurtisane Violetta Valery, die sich fast ein bisschen gegen ihren eigenen Willen unsterblich in Alfredo Germont verliebt, auf Druck von dessen Vater aber leidvoll wieder auf diese Liebe verzichtet. Ganz ist die Musik auf Violettas Tragik fokussiert, auf ihre extremen Gefühle zwischen größter Hoffnung auf eine glückliche Liebe und dem tiefsten Absturz in bittere Einsamkeit. Dass am Schluss die Möglichkeit einer Versöhnung mit Alfredo durch ihren Tod zerstört wird, macht La traviata endgültig zu einer der wohl gefühlvollsten Opern überhaupt.
Verdis enorme Kunst, gerade in diesem Werk, Seelenzustände musikalisch zu schildern, wurde in dieser Aufführung beeindruckend verwirklicht. Vom zarten Einsatz der Violinen mit ihren ätherischen Silbertönen im Vorspiel bis zu den niederschmetternden Paukenwirbeln der letzten Takte war der Instrumentalklang stets beseelt, sprach die Musik ganz aus dem Gefühl. Currentzis arbeitete mit dem glänzend spielenden Orchester quasi für jeden Ton die richtige Färbung, die passende expressive Nuance heraus.
Sirenengleich lockte die Flöte, als Vater Germont seinen Sohn Alfredo zur Rückkehr in die Heimat aufforderte. Schluchzende Violen begleiteten Violettas letzte Liebeserklärung, und tiefe Traurigkeit klang aus der Oboe, als sie den Abschiedsbrief an den Geliebten schrieb. Wie Rufe aus einer anderen Welt tönten Posaunen und Trompeten, als Violetta ihren nahenden Tod spürte. Von Opern-Routine war an diesem Abend keine Spur. Hier wurde nicht allein eine Partitur abgespielt, die Musik wurde selbst zum Träger des Dramas. Um das Ganze zu schärfen, betonte Currentzis noch die Kontraste zwischen dem Ausdruck innerer Vorgänge der Protagonisten und dem äußerem Geschehen, wie etwa den schroffen Übergang zwischen dem intimen Vorspiel und der turbulenten Festmusik in Floras Salon gleich zu Beginn des 1. Akts.
Intensiv nutzte Currentzis auch die ganze Breite der dynamischen Möglichkeiten. Wie vielleicht kaum in der Bühnenaktion möglich, konnten sich Stimmungen im extremsten Pianissimo entfalten, konnten die Solisten ihren Gesang fast bis zum Flüstern vermindern. Durch Fernmusiken wurden zwei Mal die räumlichen Dimensionen erweitert. Von einem der oberen Ränge erklang die Tanzmusik auf Floras Fest im 1. Akt und aus den Foyers die Karnevalsklänge im 3. Akt, in beiden Fällen gleichsam als äußerer Kontrast zu Violettas innerer Befindlichkeit.