Der Name Kurt Atterbergs ist keiner, den man mit exotischen Bühnenwerken im sagenumwobenen Osten assoziiert, ist er doch gemeinhin als schwedischer Komponist spätromantischer Symphonien bekannt, von denen die sechste in den 1930ern zu internationalem Ruhm kam und von Thomas Beecham aufgenommen wurde. Sein Aladin, im Programm als „Märchenoper für Erwachsene“ angekündigt, beinhaltet durchaus alle bekannten Elemente einer Zaubergeschichte wie man sie von Disney und zahllosen anderen Erzählungen kennt: einen furchtlosen, naiven jungen Helden, einen bösen Wesir, eine verschleierte Prinzessin, eine Schatzhöhle und natürlich einen Geist mit einer magischen Lampe. Für diejenigen, die sich mit der britischen Pantomime-Tradition auskennen: leider gibt es keine Dragrolle der Witwe Twankey, geschweige denn eine Szene in einem chinesischen Waschsalon mit Publikumsbeteiligung!
Atterberg hatte 1912 Rimsky-Korsakows Scheherazade gehört und wurde davon inspiriert, „orientalische“ Suiten sowie seine eigene Schauspielmusik zu Turandot zu schreiben. Die Geschichte aus Tausendundeiner Nacht gab ihm einen dramatischen und musikalischen Rahmen für eine phantastische Erzählung mit magischen Bühnentransformationen und farbenreicher Orchestrierung.
Als Vorsitzender des schwedischen Musikverbandes unterhielt Atterberg enge kulturelle Verbindungen mit Deutschland, wo er als nationalistischer nordischer Künstler in den 1930ern und 40ern sehr geschätzt wurde. Seine vorherigen Opern waren in Deutschland erfolgreich inszeniert worden und er begann die Arbeit an Aladin 1936 zu einem deutschen Libretto von Willeminsky und Hardt-Warten, wenngleich er und seine Frau für die Uraufführung in Stockholm Anfang 1941 eine schwedische Übersetzung anfertigten. Die Oper erlebte im Oktober 1941 eitne erfolgreiche Deutschlandpremiere in Chemnitz, wo auch zwei weitere seiner Opern inszeniert worden waren. Bis zu dieser besuchten Produktion wurde das Werk seitdem nicht mehr aufgeführt.
Eine der Schwierigkeiten dabei, ein so seltenes Stück auf die Bühne zu bringen, ist die Besetzung, insbesondere, da ich bei meiner Ankunft im Theater feststellte, dass sowohl der Wesir als auch der blinde Bettler (der Flaschengeist) krankheitsbedingt ausfielen und ihre Rollen zum Gesang vom Bühnenrand lediglich spielen würden. Steven Scheschareg (Wesir) und Magnus Piontek (Bettler) stellten ihre Rollen dabei sicher und wohlcharakterisiert dar, obwohl sie, vermutlich mit nur wenig Vorbereitung, aus den Partituren sangen.
Aladin beginnt mit einem Potpourri einer Ouvertüre und der Charakter des Werkes wurde unmittelbar offensichtlich in gewundenen, arabesken Soli für die Bläser und einem üppigen, orientalischen Thema für die Streicher. So viele Einflüsse kamen einem dabei in den Sinn: Korngolds prächtige chromatische Harmonien, der schwere Duft von Schreker, und der lapidare Gebrauch von Celesta und Klavier für den Schatz in der Höhle des Flaschengeistes rief lebhafte Erinnerungen an Blaubarts Schatz in Bartóks Oper wach. Rhythmisch markante Blechfanfaren und Tanzrhythmen, die später in der trunkenen Träumerei des Wesirs zu hören sind, bilden dazu ein Gegengewicht.
Der Vorhang öffnet sich vor einem Platz im Samarkand; Stimmen hinter der Bühne singen „Wer will mein Haschisch kaufen?“. Die Bühne wird dominiert von einem schwarzen, Kabbala-gleichen Würfel, der sich drehte und den Blick freigab auf die Höhle voller Tresorfächer, den Hamam und den vergoldeten Tand des Sultanspalastes. Die Lampe selbst wurde als glühender Würfel dargestellt.
In diese Szene tritt Aladin (Michael Ha) und teilt seine letzten Münzen mit dem Bettler. Ha fing die Jugend und Naivität der Figur mit seinem ansprechenden lyrischen Tenor gut ein, musste später im Stück jedoch gegen das große Orchester ankämpfen. Er verteidigt einen Bettler vor dem schikanierenden Wesir und erhält seinen Segen. Prinzessin Laila kommt an und allen ist verboten, ihre Schönheit zu sehen. Gesungen von der französischen Sopranistin Solen Maingené mit damaszenisch weitreichender Stimme ist Laila eindeutig mit der Königin von Schemacha aus dem Goldenen Hahn verwand. Aladin heckt einen Plan aus, um verbotenerweise einen Blick auf sie zu erhaschen, und beide fühlen sich unmittelbar zueinander hingezogen, doch Aladin wird vom eifersüchtigen Wesir verhaftet. Der Bettler erzählt dem Wesir von der Zauberlampe der Liebe, die nur von einem reinen Helden errungen werden kann, und erreicht so Aladins Freilassung, denn dem Wesir wird bewusst, dass der Junge sein Mittel ist, um Lailas Liebe, Macht und Reichtum zu gewinnen. Trotz vieler Mühsal siegt letzten Endes aber die wahre Liebe.
All diese Aktion wird von Designer und Regisseur Andrei Woron auf phantastische Weise behandelt; er führt exzentrische Elemente wie eine Schar tanzender Nonnen ein, Star Wars-Trooper als Palastwache des Sultans und einen westlichen Würdenträger im Anzug, der für sein knallorangefarbenes Haar bekannt ist. Der Wesir und seine uniformierte Garde zogen eindeutige Parallelen zu zentralasiatischen Diktaturen der heutigen Zeit, wenngleich sie eher grotesk als gefährlich anzusehen waren. Die beeindruckendste Szene ist das aufgeladene Liebesduett zu Beginn des zweiten Aktes, wenn der Geist Aladin eine Vision Lailas gewährt, die anschaulich und modisch Gebrauch von einer tragbaren Kamera macht.
Dirigent Jonas Alber entlockte dem Orchester farbenreiches Spiel in wohlgewähltem Tempo, doch der kleine, lebhafte Chor konnte in der abschließenden Hymne an Allah nicht wirklich die nötige Jubelwirkung entfalten.
Die Vorstellung wurde sehr enthusiastisch aufgenommen und es kommt die Frage auf, warum eine solch prächtige, einfallsreiche Musik für die letzten 75 Jahre missachtet wurde. Es ist unmöglich, die dunklen Zeiten zu ignorieren, in der sie uraufgeführt wurde, und die Umstände ihre Entstehung sind kontrovers. Ende 1941 verhinderte die sich zuspitzende Kriegssituation weitere Inszenierungen in Deutschland. Einer der Librettisten, Willeminsky, war Jude und sein Name wurde auf der veröffentlichten Partitur ausgelassen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen und seine mageren Tantiemen nicht aufs Spiel zu setzen. Willeminsky wurde im Dezember 1941 verhaftet und man vermutet, dass er 1942 entweder Selbstmord beging oder in einem Vernichtungslager starb. Nach 1945 wurde Atterberg für seine deutschen Verbindungen heftig kritisiert, sein Ruf wurde schwer geschädigt und sein Stil des spätromantischen Nationalismus kam in seinem Heimatland gänzlich aus der Mode. Verbittert lebte er bis 1974 und beschrieb sich in seinen Memoiren als „lebende Leiche“. Für diesen schwedischen Aladin gab es zu Lebzeiten kein Entkommen mit der Zauberlampe aus der dunklen Höhle der Vernachlässigung.
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.