Wenn man eine Produktion von Calixto Bieito besucht, kann man sich ziemlich sicher sein, dass keine normalen Regeln gelten. In seiner Version von Rameaus Platée, das selbst in seiner Originalfassung 1745 als Ballet bouffon schon recht unorthodox war, war ein gewisses Maß an Verrücktheit noch wahrscheinlicher. Aber nichts bereitet einen auf das Maß an hochenergetischer Schrulligkeit vor, mit der einen Bieito und die Oper Stuttgart überfallen.
Der Spaß beginnt nach etwa einem Drittel der Ouvertüre, als eine schwarz gekleidete Gestalt vom Bühnenrand zum Geländer über dem Podium läuft, dem Dirigenten gelangweilte Gesten macht und ihn schließlich aus dem Weg schubst und beginnt, das Orchestra selbst enthusiastisch zu dirigieren... was die Gestalt dann auch für den Rest des Abends tut, denn hinter dem schwarzen Gewand verbirgt sich Musikdirektor Hans Christoph Bünger. Die Orchesterdarbietung ist in der Tat das einzig Unschrullige an diesem Abend; sie war durchweg hell, optimistisch und lieblich. Keine Spur von historischen Instrumenten, was daran erinnert, das moderne Instrumente genauso schön klingen können, wenn sie Rameaus melodiöse, energiereiche Barockmusik spielen, wie mit neuerem Material.
Basisszenario von Platée ist, dass Merkur und einige andere eine List ersinnen, um Juno im Glauben an die Treue ihres Ehemannes zu bekräftigen. Dafür inszenieren sie eine Scheinhochzeit zwischen Jupiter und der hässlichsten Nymphe, die sie finden können – die unglückliche Auserwählte ist die hässliche Wassernymphe Platée. Die Menge an Binnengeschichte in Binnengeschichte, Travestie, Rollenverdopplung und genereller opéra bouffe-Possen reicht aus, um einen selbst in der vierten Reihe in einen Zustand enormer Verwirrung zu versetzten und dort zu lassen, und ich werde nicht einmal versuchen, ins Detail zu gehen. Aber bei der Inszenierung und diesen gesanglichen Leistungen machte das nicht viel aus.
Die Titelrolle ist bei weitem die größte, und Tenor Thomas Walker gab sie mit Bravour. Die Natur der originalen französischen Stimme des haute-contre wird von Forschern heftig diskutiert; Walker sang in etwa einen konventionellen, leichten Tenor, der sich mit kaum hörbarem Bruch nach oben in Counter-Terrain streckt. Seine Stimme war beständig voller Charakter, er stöckelte auf der Bühne umher und lieferte seine komischen visuellen Gags als wäre er in einer viktorianischen Music Hall geboren worden.
Die zweite große Rolle ist „La Folie“, die im Zentrum des sehr langen Divertissement beim Hochzeitsbankett im zweiten Akt steht (Platée wurde für die Hochzeit von Louis XV mit der scheinbar eher einfarbigen Maria Theresa geschrieben – die Tatsache, dass Rameau nicht nur seinen Kopf behielt, sondern hernach auch noch eine königliche Anstellung erhielt beweist, dass französische Adlige der Zeit einen Sinn für Humor gehabt haben müssen). Lenneke Ruiten dominierte die Bühne, prächtig im weißen Tutu, mit weiß geschminktem Gesicht, Augen-Make-up wie ein Grufti, mit Mikrophonständer und elektrischer Gitarre (das Original verlangt nach einer Lyra), und ließ mit einem rockstargleichen „Bonjouuuuuuuur, Stuttgart!“ die Wände wackeln. Danach zeigte sich auch makellosen Barockgesang (ganz so, wie sie es zuvor schon in der Rolle von L'amour getan hatte) und einen klaren, starken und flexiblen Klang. Ihre Rockstar-Arie „Que les plaisirs les plus aimables“ war ein absoluter Hit.