Gerade dann, wenn man als Zuhörer das Gefühl hat, hat eine Oper verstanden zu haben, nachdem man sie wieder und wieder innerhalb der gleichen, scheinbar festen Grenzen inszeniert gesehen hat, kommt eine neue Inszenierung, die uns eines besseren belehrt. Alternative Lesarten können eine Offenbarung sein (wenn sie überzeugend sind) oder einen abschrecken (wenn sie es nicht sind), und die neue Salome er Oper Dallas war zwar außerordentlich gut gespielt, schaffte es aber nie ganz, die Grenze zwischen merkwürdig und brillant zu überschreiten.
Als dystopische Erzählung von Mord und Erotik ist Salome eine Oper, in der man kaum einen unbeschwerten Moment findet. Die zwei berühmtesten Szenen der Oper – der „Tanz der sieben Schleier“, den Salome für ihren lüsternen Stiefvater aufführt, und das Finale, in dem sie Jochanaans abgetrennten Kopf küsst, – sind auch nicht verdrehter als der Rest der Oper, und die meisten Inszenierungen halten sich an eine trostlose Interpretation dieser Verdorbenheit. Die Dallas-Produktion an diesem Wochenende empfand ich dann am effektivsten, als die Musik selbst diesen Siedepunkt erreichte, war aber letztendlich nicht überzeugt vom Versuch, dem Rest des Werkes einen etwas leichteren Charakter zu geben.
Visuell war das eine beeindruckende Angelegenheit. Das Bühnenbild und die Kostüme von Peter J. Davison und Anita Yavitch für die Washington National Opera, deren Inszenierung es ist, waren modern, doch keine Mätzchen. Vom reflektierenden, silbernen Boden reichte ein transparentes PVC-Tuch bis zur Decke und trennte Herodes' Palast (ein Bankett-Tisch plus Fassade und ein paar Säulen) von dem Gebiet um Jochanaans Grube. Wächter in schwarzem Leder, ein Pistole tragender Page und farbenfrohe Gewänder für die übrigen Rollen unterstrichen Charakterzüge, die angemessen vorzustellen in diesem 95-minütigen Einakter keine Zeit bleibt.
Auch musikalisch war diese Salome ein großer Erfolg. Deborah Voigts Auftritt in der Titelrolle war ihr Dallas Opera-Debüt, und sie zeigte imposante Bühnenpräsenz. Susan Bickley und Robert Brubaker stimmten Charakter und Stimmqualität gut aufeinander ab und spielten ihre Rollen souverän, und Tenor Scott Quinn gab ein fabelhaftes italianisiertes Portrait des Hauptmanns. Am beeindruckendsten war Bassbariton Greer Grimsley. Sein Jochanaan, mit ungewöhnlicher Kraft und Klarheit gesungen, und durch imposante Bühnenpräsenz Leben eingehaucht, strahlte wahrlich moralische Autorität aus. (Die Nebenrollen waren ebenfalls allgemein solide, wenn man die unklare deutsche Aussprache außen vor lässt.) Man mische solch stimmliche Brillanz nun mit einem Orchester, das abwechselnd brodelte und kochte, dann makellos präzise und beinahe unerträglich üppig und voll im Klang war, und einem Dirigenten (Evan Rogister, ein weiteres Debüt), der den musikalischen Verstand und ein Händchen für das Tempo hat, das diese Musik verlangt, und das Ergebnis ist ein Abend, der für das Ohr wenig zu wünschen übrig lässt.