Am 26. Dezember 1926 gaben Walter Damrosch und die New York Symphonic Society die Uraufführung von Tapiola, einer Tondichtung und Bildnis des Waldgeistes des Kalevala. Niemand wusste, dass Tapiola das letzte große Werk des Komponisten sein würde: obwohl noch einige kleine Kompositionen und Revisionen veröffentlicht wurden, endet Sibelius' Oeuvre mit einer Leere anstelle eines prächtigen Abschlusses.
Zur Zeit der Uraufführung von Tapiola war Sibelius bereits mitten in der Komposition seiner Achten Symphonie. Im Herbst des folgenden Jahres berichtete er sogar, das zwei Sätze bereits niedergeschrieben und die übrigen in seinem Kopf komponiert seien. Bis zum Lebensende des Komponisten blieb die Symphonie jedoch quälend außer Reichweite. Geplante Premieren wurden verschoben und schließlich abgesagt, als Sibelius mit einem Werk rang, das er als Höhepunkt seines Lebenswerkes betrachtete. Als die Symphonie jedoch der Fertigstellung nahe war – die Abschriften wurden 1933 begonnen – wurde Sibelius zusehends besorgt. Die Komposition ging ihm für den Rest seines Lebens nicht aus dem Kopf. 1945 gestand er in einem Brief: „Ich habe meine Achte Symphonie mehrmals vollendet, aber ich bin noch immer nicht damit zufrieden.“ Um diese Zeit verbrannte Sibelius die zwei existierenden Ausfertigungen der Symphonie, zusammen mit zahlreichen Entwürfen. Das Werk jedoch beschäftigte ihn weiterhin: 1954 vertraute er einem Freund an, dass er die Symphonie nie vollenden werde. Drei Jahre später starb Sibelius.
Seitdem haben sich Musikwissenschaftler der Suche nach Spuren der Symphonie verschrieben. Die Bibliothek der Universität Helsinki besitzt einige Entwürfe und Fragmente, von denen man annimmt, dass sie mit dem Werk verbunden sind, und 2011 bereiteten die Wissenschaftler Timo Virtanen und Vesa Sirén die am weitesten entwickelten davon für ein Konzert vor. Das Philharmonische Orchester Helsinki nahm diese Auszüge im selben Jahr auf, und obwohl sie nur kurze Einblicke gewähren, sind sie doch faszinierend. Sirén beschrieb die Schnipsel als „merkwürdig, kraftvoll, und mit gewagten, pikanten Harmonien – ein Schritt ins Neue, selbst nach Tapiola und der Musik für The Tempest.“
Warum glaubte Sibelius, das Werk war nicht zur Aufführung geeignet? Obwohl er immer sagte, dass jedes Werk musikalisches Neuland erkunden solle, so zeigen die erhaltenen Fragmente der Symphonie in eine ganz neue Richtung. Einige Wissenschaftler glauben, dass das Zittern seiner Hände den Komponisten vom Abschluss der Stückes abgehalten hat, doch das erscheint unwahrscheinlich. Es scheint vielmehr eine Verbindung zweier Faktoren zu sein, die Sibelius von der Fertigstellung seines symphonischen Schwanengesangs abhielten: sein Kultstatus (und das Gewicht der damit verbundenen Erwartungen) und seine selbstkritische Art.
Sibelius wurde vergleichsweise früh in seiner Kariere zu Finnlands Nationalkomponist erhoben. Kullervo (1892) war das Werk, das ihm ersten öffentlichen Ruhm einbrachte, und seine Kompositionen für finnische historische Spiele trugen noch zu seiner Bekanntheit bei. Seine Musik wurde zusehends mit dem Unabhängigkeitskampf des Landes assoziiert, und seine Kompositionen wurden für den Rest seines Lebens mit viel Aufsehen aufgenommen. Sibelius fiel es schwer, mit diesem Maß an Aufmerksamkeit umzugehen, er begann zu trinken, und seine öffentlichen Auftritte nach dem Zweiten Weltkrieg waren begrenzt.
Mit dem Ruhm kamen die Erwartungen, und er wurde von vielen Menschen als bester lebender Komponist betrachtet, jede Note aus seiner Feder war aus Gold gemacht. Jedes neue Werk wurde gespannt erwartet und nach der Erscheinung gefeiert, was den Komponisten stark unter Druck setzte, denn er hatte es sich zum Ziel gemacht, mit jeder neuen Komposition die vorherige zu übertreffen. Vielleicht war es diese Furcht, die ihn schließlich kaputt gemacht hat. Sein Perfektionismus kommt besonders in Tagebucheinträgen zum Vorschein, die vermuten lassen, dass seine enorm hohen Ansprüche letztlich die Veröffentlichung der Achten Symphonie vereitelten. Sibelius gestand 1927: „Isolation und Einsamkeit bringen mich zur Verzweiflung … Bin missbraucht, allein, all meine wahren Freunde sind tot. Mein Ansehen hier ist im Moment am Boden. Unmöglich zu arbeiten. Wenn es nur einen Ausweg gäbe.“
Trotz allem komponierte Sibelius weiter. Er mag vielleicht sein Abschiedswerk nicht zu Ende geschrieben haben, doch ein paar Lieder, kleine Kammerwerke und Arrangements beschäftigten ihn doch. In seinem letzten Jahr kehrte er zur Kullervo-Symphonie zurück – dem Werk, das ihn einst zu Erfolg katapultiert hatte – und einem Lied für eine Inszenierung von Shakespeares Twelfth Night 1909 zurück, das ergreifend Kom nu hit, död (Komm herbei, Tod) betitelt ist.
Der Gedanke von Sibelius' Stille ist lediglich ein Mythos – ein Versuch, sicherzustellen, dass die Hinterlassenschaft des Komponisten in angebrachter Art und Weise für jemanden seines Ranges abgerundet würde. Tapiola wurde als angemessener Abschluss seines Schaffens gesehen, doch selbst dieses Werk strebt zu neuen Ufern. In diesem letzten, großangelegten Werk lud Sibelius die nächste Generation ein, seinen Platz einzunehmen.
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck