Ehe Boris Begelman mit seiner Gattin Francesca Aspromonte und vor zehn Jahren gegründetem Arsenale Sonoro beim neuen „Viva Napoli“-Festival der Elbphilharmonie diese Woche Leonardo Vincis Rosenkranzmadonna-Oratorium aufführen wird, brachten die Musiker bei den unter dem Motto „Reduse – Reuse – Recycle“ stehenden Tagen Alter Musik in Herne ein Werk aus der Bologneser Heimat zur kompletten neuzeitlichen Erstaufführung. Komplett (exkl. Sinfonia) insofern, hatte es die Arie „Del Nazareno“ aus La sepoltura di Cristo Giacomo Antonio Pertis (von Francesco Lora rekonstruiert und ediert) vor drei Jahren bereits in eine Aufnahme Begelmans und Aspromontes mit I Barrochisti geschafft.
Beim Stück handelt es sich um den Passionsdialog Marias, Maddalenas, San Giovannis und Giuseppe Ab’Arimathaeas, den zunächst der Bologneser Kollege Giacomo Cesare Predieri zu Karfreitag 1704 komponiert hatte und der anschließend zweimal von Perti überarbeitet wurde. Damals vielfach gelebte Praxis im Zeichen mitbrüderlichen Aushelfens bei Zeitnot oder anerkennenden Wiederverwendens. Beziehungsweise Outsourcens, so auch bei Instrumentalem, wie mit Arcangelo Corelli, Giuseppe Torelli oder Tomaso Antonio Vitali. Könnte vor allem Torelli an mancher Stelle zudem in jener Sepoltura-Überarbeitung mitgetan haben, fanden sich alle drei im Herner Programm wieder, um das äußerst kurze Oratorium nach damaliger Aufführungssitte mit Instrumentalmusik aufzufüllen.
Bevor ich wiederum aber zum Konzert an sich komme, zunächst noch etwas zum Komponisten. Denn „Perti wer?“ werden sich Viele fragen. Perti war sage und schreibe sechs Jahrzehnte lang prestigeträchtiger Kapellmeister der auf zentraler Piazza Bolognas gelegenen Basilika San Petronio, als sein Herz mit stolzen 94 Jahren und 10 Monaten aufhörte zu schlagen. Kein anderer Komponist des Barock, doch auch bis zu Spätromantik und Moderne, dürfte dieses hohe Alter übertrumpft haben. Kurz nachdem Perti Musikchef der Kirche wurde, trug man ihm die Leitung der Wiener Hofkapelle als Nachfolger des heute ebenfalls noch zu vergessenen Antonio Draghis an. Eine Position, die er im Gegensatz zu seinem Schüler Luc’Antonio Predieri, Giacomo Cesares Neffe, ablehnte.
Folglich galt dem Sakralen Pertis Hauptaugenmerk, das Arsenale Sonoro mit Begelmans geschmeidig-flüssigen Vorgaben in einen ausgesprochen andachts- und würdevollen Klang hüllte, ohne dabei die bogengestützte, atmende Bewegung mit effektiver Dynamik zu vernachlässigen. Keinerlei Balanceprobleme in den abwechselnd vom Tutti mit Streichern oder allein Basso beziehungsweise einmal mit Begelmans Geige respektive Ludovico Minasis Cello begleiteten Vokaleinsätzen generierend, leistete er trauerbeiständigen, weichen Affekt mit Stil. Diesen nahm Aspromonte in Phrasierung mittels zärtlich-melodischer Rundung und Dynamik bei etwas mutterklagend fülliger bedachtem Vortrag der süßlich-schmerzlichen Anteilnahme einer jedoch nicht in Aussichtslosigkeit versunkenen, sondern erhobenen, als Vorbild dienenden Maria an Jesu Tod auf.

Trost und seelische Zurede erhielt sie durch den auf die auch in Bologna allgegenwärtige Leichentuchreliquie bezugnehmenden Giuseppe Ab’Arimathaea, den Fulvio Bettini in gebundener, linder, geborgener, ab und zu dynamisch leicht verschluckender Artikulation anschlug. Besonders leibhaftig war Maddalenas Betroffenheit von Chiara Brunellos tiefausgelegtem Alt abnehmbar, dessen warme und elegante wie dezente und ernste Farbigkeit um Erbarmen bat; und dazu jenes einzig erhaltene Original Predieris, bei Perti verstärkt imperativer Madrigalschlusschor, „Mortali, e che volete“ voranstellte. Stark, gleichsam aufrichtend gerührt schien auch San Giovanni zu sein, gestaltete ihn Leonardo Cortellazzi etwas theatralischer in seiner in Stilistik mit kleineren Einbußen behafteten Grundartikulation.
Dabei war sein Tenor angeschlagen, wie Aspromonte das Publikum in ihrer talentierten wie sympathischen Ansprache auf Deutsch wissen ließ, um die Indisponiertheit beim Dacapo in Giovannis Arie „Nell occaso“ offen zu legen. Jene sang Cortellazzi am Ende allerdings für die Produktion nochmals ganz und insgesamt in angenehmerer Weise ein. Von einfühlsamer Güte, stimmungsreichem Beileid und aufziehender Wunderhaftigkeit mit viel Sinn für Cembaloverzierung, subito-piano-Effekten und feierlichem Gestus getragen bot Arsenale Sonoro zudem die Concerti Corellis (als Sinfonia, solche zu Luliers Santa Beatrice d’Este), Torellis (Op.8 Nr.6) und Vitalis (Sinfonia à 4) dar, in denen Begelman gemeinsam mit Angelo Calvo als Violinconcertino in sauberste, lebendige Erscheinung trat.