Im wunderschönen Hamburger Michel zu stehen, der jüngsten der fünf Hauptkirchen der Hansestadt, für die Georg Philipp Telemann seinerzeit als Musikdirektor zuständig war, hat immer etwas Besonderes. Ganz besonders sind für mich allerdings auch und erst recht die Telemann-Festtage in Magdeburg, die meinen Lieblingskomponisten in dessen Geburtsstadt die Ehre erweisen. Bei der diesjährigen Festivalausgabe warfen sie, den nachgeholten 25. Tagen im 60. Jubiläumsjahr zum Motto „Klangfarben“, den Blick auf eben besagte Michaeliskirche und damit selten oder bisher gar nicht live aufgeführte Musik. Konkret tat dies die Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens mittels der Einweihungsmusik für das wiederhergestellte Gotteshaus von 1762, Komm wieder, Herr, zu der Menge der Tausenden in Israel, nachdem der Michel am 10. März 1750 durch einen von einem Blitzschlag verursachten Brand zerstört worden war.
Das Oratorium erklang dabei nun ausgerechnet in mehrfacher Hinsicht sinnhaft geplant am 19. März – dem damaligen außerordentlichen Hamburger Buß- und Bettag zur Katastrophe – in der Johanniskirche, die Grabkirche des vor Telemann berühmten Magdeburger, in Hamburg verstorbenen, zum Luftdruck forschenden Stadtsohns Otto von Guericke und doch selbst Opfer mehrerer Verwüstungen geworden ist. Darin also galt es, die knappe, insgesamt sowie speziell mit doppeltem Trompeten- und Paukenchor groß besetzte Einweihungsmusik zum neuen St.-Michaelis-Bau zu würdigen, in der Telemann Festlichkeit und Erinnerungskultur so mit dem Ereignis von Brand, Wiedererrichtung und Segnung rekurrierenden Text von Joachim Johann Daniel Zimmermann verbindet, dass Bestimmung, Schrecken und neuerliche Bestandsbitte in einem Licht stehen.

Es ist das Licht der Demut, das gleich zu Beginn mit einem schlichten chorischen Dictum einzieht und die auch wieder mit Willens unaufgeregtem, dienstlich-dienendem Musiziercharakter das durchgängige Band des nachvollziehbaren Tons der Ehrfurcht und Dignitas zum Einzug Gottes Geistes in den müh-, aber preisend freudvoll erschaffenen heiligen Hallen knüpfte. Erst danach macht sich nämlich das feierliche Prozedere dadurch bemerkbar, dass Trompeten und Pauken zur kurzen Fanfare für das einleitende, den Anlass bündig zusammenfassende Rezitativ ansetzen. Bei der Kölner Akademie war das Festbesteck von Blech- und Schlagwerk im Rahmen der örtlichen Möglichkeiten dabei antiphon aufgestellt, so dass es an das Emporen-Stereo der Hamburger Kirche erinnerte. Es hüllte das zurückhaltendere Orchester und den typischerweise bei Willens durch die Solisten besetzten beziehungsweise durch eine (im Sopran eine weitere) Stimme ergänzten Chor in mustergültiger Balance stets in ein edles, prächtiges und vor allem intonatorisch ebenso gefälliges, präzises, höchst anerkennenswertes Bühnenensemble-Setting. Daraus ergab sich – der Chor somit historisch und erklärend notwendigerweise vor dem größeren Orchesterapparat stehend –, dass das Wort immerzu plastisch verständlich war, obschon bei Alt-Solistin Ursula Eittinger durch vibratogewolltere Ausschmückung ihres Timbres und Vortrags davon kleinere Abstriche gemacht werden mussten. Die unterschiedlichen Chöre – die üblichen gottesdienstlichen, weich und mit meditativem Abrundungscharme behafteten Choräle zur Predigt, die turbaartigen Einschübe, der flotte Dank, das ausgiebige Te Deum der Gemeinde mit seinen dynamisch abgesetzten Versen zur Abbildung der Prozession oder das theatralische Finale – erreichten daher Vorstellungsbild und Gemüt.
Abgesehen von erwähnter Artikulation Eittingers, die ihre besinnliche Wärme schließlich in der mit im hinteren Altarraum befindlichen sordinierten Trauertrompeten versehenen Arie zum Verstorbenengebet unter Beweis stellen konnte, sorgten die anderen Solisten für ganze Genugtuung. Natürlich untereinander und im oratorischen Sprachformat variant, mit dem Ergebnis, dass Rahel Maas und Mark Heines den zierlich-lieblichen, etwas flacheren, planen, zugleich florierend-fröhlichen, schlank leuchtenden Touch der wiegenden, nicht unterkriegenden, beschwichtigenden Ehrfurcht einbrachten. Dem Flehen und der Ehrerbietung Rechnung zollender Kraft übertrug Telemann – selbst Bariton – wie immer und gegenzeichnend zur Stimme Gottes den Bässen. In Klaus Mertens, dem Telemann-Bass schlechthin, fand die projizierte Bürgerschaft einen wohltuend bestimmten, sicheren, souveränen Fürsprecher mit eindringlich ungekünstelter Botschaftsverpflichtung. Thomas Bonni wiederum, eigentlich mit der großen operalen Dramatik eines Commendatore ausgestattet, der außerdem die beschwingten Figuren mit phrasierter Leichtigkeit zu nehmen wusste, schwang sich als retrospektiver Augenzeuge der Katastrophe zum Respekt einflößenden Schutzappell-Rufer und Hamburg-Makler auf – wie Erzengel Michael, dem Namenspatron dieses einmaligen wie gelungenen Oratoriums Telemanns durch die Kölner Akademie.