Morton Feldman (1926-1987), amerikanischer Avantgarde-Komponist, hat das längste Streichquartett der Musikgeschichte geschrieben. Sein Zweites Streichquartett hat eine Aufführungsdauer von sage und schreibe fünf Stunden! Ein befreundeter Bratscher erzählte mir einst von den Strapazen während und der Erfüllung nach einer solchen Marathonaufführung.
Das britische Ensemble Apartment House ist seit Sommer letzten Jahres Residenzensemble der Wigmore Hall in London, die 1901 als Bechstein Hall eingeweiht wurde. Am vergangenen Samstag spielte AH drei Konzerte mit ausschließlich Kammermusikwerken von Feldman. Das längste Stück, Piano and String Quartet aus dem Jahr 1985, dauerte allerdings „nur” 75 Minuten und füllte damit das zweite Konzert am Nachmittag. Wenn man einmal eingetaucht war in die Klangwelten von Feldman, dann offenbarte sich dem Zuhörer eine neue Dimension im Musikhören. Die Musiker ließen sich für ihren Feldman Zeit, viel Zeit. Das musikalische Material wurde Ton für Ton ausgekostet und von allen Seiten beleuchtet. Klangfarben, Obertöne, das Einschwingen und Ausschwingen von Akkorden oder einzelnen Tönen, der Nachhall, die Saalakustik und selbst Nebengeräusche von außerhalb des Konzertsaals waren Teil eines umfassenden Hörerlebnisses.
Die Akustik der Wigmore Hall ist ganz wie sein im Renaissance Stil ornamental reich geschmückter Innenraum ein Traum. Die Musiker um Ensembledirektor und Cellisten Anton Lukoszevieze konnten selbst mit meist vibratolosem Pianissimospiel darauf vertrauen, dass jede Nuance hörbar blieb. Auch dadurch wurde Feldmans Klavierquintett zu einer ansprechenden meditativen Reise durch langgezogene monotone Klangfelder, die am ehesten mit einer mit Schnee bedeckten Winterlandschaft verglichen werden könnten.
Das erste Konzert zur Mittagsstunde umfasste zehn unterschiedlich besetzte Kammermusikwerke. Pianist Kerry Yong spielte fünf Solostücke. Last Pieces, komponiert 1959 besteht aus 4 Sätzen, die abwechselnd sehr langsam und schnell zu spielen sind; die Länge der Töne kann der Interpret selbst bestimmen. Das Tonmaterial mutete erst zufällig an, im Verlauf der Stücke stachen jedoch einzelne Töne durch wiederholte Präsenz hervor. Die tiefen Basstöne des Flügels hallten lang durch, wodurch bei langsamem Tempo ihr Obertonspektrum eigene unbekannte Klangwelten eröffnete.
In Extensions 3 spielt Feldman mit Motivwiederholungen. Man bekam das Gefühl, als würde dieselbe Frage wieder und wieder gestellt werden. In den langen Pausen zwischen den einzelnen Klangaktionen waren den fantasievollen Gedanken der Zuhörer keine Grenzen gesetzt.