Hugo Wolf (1860-1903) war ein Getriebener. Getrieben zur absoluten Perfektion durch seine an Autismus grenzenden Hochbegabung, getrieben von seinem kompromisslosen Anspruch an die musikalische Exegese sublimer Literatur. Kein anderer Komponist hat das Genre des Kunstlieds zu einer derart präzisen Ausdruckskunst entwickelt, hochkontrolliert selbst im Moment ekstatischer Emotion. Wolf überlässt nichts dem Zufall. Dort, wo Schubert und Schumann romantisch schwelgen und sich von den Texten treiben lassen, bemächtigt sich Wolf seiner literarischen Vorlagen und überwältigt sie förmlich, wie Dietrich Fischer-Dieskau es einmal treffend formulierte.

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Ammiel Bushakevitz und Christian Gerhaher
© Salzburger Festspiele | Marco Borrelli

Dem Zeitgeist entsprechend erschuf Wolf aus Fernweh nach dem unerreichbaren Süden neben dem Italienischen Liederbuch und der komischen Oper Der Corregidor das Spanisches Liederbuch aus einem Band, in dem Paul Heyse und Emanuel Geibel Gedichte aus Spaniens goldenem Zeitalter im 16. und 17. Jahrhundert übersetzt hatten. 10 geistliche und 34 weltliche Texte, deren Reihenfolge erst nachträglich festgelegt und somit einer Neusortierung anheimgestellt ist. So gruppierten bei den Salzburger Festspielen auch der Bariton Christian Gerhaher und seine kongeniale Konzert-Partnerin, die Sopranistin Julia Kleiter, die Lieder in einer neuen, dreiteiligen Abfolge, die ähnlich den Schubert’schen Liedzyklen einen überzeugenden erzählerischen Spannungsbogen kreierte.

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Ammiel Bushakevitz und Julia Kleiter
© Salzburger Festspiele | Marco Borrelli

Die zehn geistlichen Lieder interpretierten Gerhaher und Kleiter verhalten, stellenweise fast zu vergeistigt. Gerhaher konnte dem Anspruch des kundigen Publikums an seine gewöhnlich über jede Kritik erhabenen Darbietungen nicht immer gerecht werden. Vor allem im ersten Teil des Konzerts ließ er gelegentlich höhere Haltetöne in den Hals zurückfallen mit gutturalen Vibrato, was die kristallklare Akustik des Haus für Mozart unerbittlich offenbarte. Gestalterisch jedoch war Gerhaher wie immer hochkonzentriert und setzte beeindruckende Akzente, etwa wie er die Hähne im Lied Nun wandre, Maria zum Krähen brachte. Ein solcher Ausbruch aus der perfekt sophistizierten Klangästhetik hätte besonders bei den weltlichen Liedern den Abend noch lebhafter gemacht. Bis auf wenige choreographische Akzente, indem etwa die Sänger sich schon vor dem Ende der Lieder am Notenpult abwechselten und damit in der Begegnung interagierten, war die Aufführung eher verhalten, fast steif. Mit dem Pianisten gab es keinerlei gestische oder mimische Interaktion, wiewohl doch die Wolf’sche Partitur von spannungsgeladenen Dialogen auf kleinstem Raum geprägt ist und alle Möglichkeiten dezenter non-verbaler Kommunikation eröffnet.

Ammiel Bushakevitz, Julia Kleiter und Christian Gerhaher © Salzburger Festspiele | Marco Borrelli
Ammiel Bushakevitz, Julia Kleiter und Christian Gerhaher
© Salzburger Festspiele | Marco Borrelli

Die Kommunikation der Limburger Spranistin Julia Kleiter mit dem Publikum hingegen war ebenso spontan und fein wie ihr Vortrag insgesamt. Kleiter ist eine Meisterin der grazilen Gesten und bezirzenden Mimik. Wundervoll sanft und inniglich, wie sie von ihrem schlummernden Kind im Lied Die ihr schwebet sang. Auch die weltlichen Lieder interpretierte sie lebhaft und kokettierte immer wieder mit den Texten und dem Publikum. Ein Höhepunkt war Trau nicht der Liebe, nicht zuletzt weil der für den erkrankten Gerold Huber eingesprungene Ammiel Bushakevitz mit seiner ganzen Anschlagskunst brillierte. Die nach unten abgleitende Skala in der linken Hand am Ende jeder Strophe ziselierte er mit äußerster Rafinesse und delikatem Rubato. Doch auch Gerhaher erschuf bei den weltlichen Liedern unvergessliche Momente. Dereinst, dereinst, Gedanke mein gelang dem Meistersänger so klar und ruhig wie ein Gebirgssee, ein tief-empfundenes Gebet, geprägt von melancholischer Todessehnsucht und doch letztlich versöhnt mit den Fährnissen der Liebe und des Lebens, welche Hugo Wolf wie kaum ein Zweiter erleben musste. Wolf starb nach einem Selbstmordversuch und leidvollen letzten Jahren 1903 mit 42 Jahren an den Folgen einer Syphilis-Infektion, welche er sich bei einem Bordell-Besuch viele Jahre vorher zugezogen hatte.

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