Sind Orchesterstrukturen auf ein Tanzensemble übertragbar? Entstehen hier Brüche und Spiegelungen, die etwas sichtbar machen, was sonst im Verborgenen bleibt? Von solchen getanzten Spiegelungen handelt die erste Uraufführung Jacopo Godanis; von einer grotesken Landschaft aus mit Gas gefüllten, über die Tanzfläche schwebenden halbtransparenten Ballons handelt seine zweite. Zwischen Stormo und Satelliting setzt er dann noch ein älteres Werk von 2016, Metamorphers, um ein abendfüllendes Programm im Bockenheimer Depot zu bieten: Dresden Frankfurt Dance Company meets Ensmeble Modern. Das Ensemble Modern gehört, wie Godanis Company auch, zu den wenigen künstlerischen Gruppen in Frankfurt, die es beherrschen, moderne und zeitgenössische Ästhetik auf höchstem Niveau nicht nur zu spielen, sondern auch zu inkorporieren. Zusammenschlüsse dieser Art bieten eine erinnerungswerte Erfahrung von dem, was Komposition und Tanz symbiotisch leisten können.
Das Ensemble Modern versteht sich als ein offener, demokratischer Klangkörper, der in Stormo durch die Tänzer erweitert wird. Hinter den Musikern, die Johannes Motschmanns Attack Decay (2011) spielten, reihte sich jeweils ein Tänzer oder eine Tänzerin mit weiß getünchten Armen. Neben dem Dirigenten, Josep Planells Schiaffino, alternierte ebenfalls ein/e PerformerIn. Diese/r gab, wie der Dirigent den Leitton, die Leitbewegung an. Erkennbar wird so eine feinfühlige Verzögerung in der Imitation der Leitfigur. Sichtbar wird das, was sonst unsichtbar bleibt: Die weißen Arme vollführen jede Bewegung auf unterschiedliche Art und Weise. Leicht andere Handstellungen und mehr oder weniger technische Schwünge zeigen auf, dass jedes Dirigat nicht vollständig umgesetzt werden kann. Bei einem sitzenden Orchester wird dieses Phänomen nicht visuell verständlich. Godani macht sich diese Organisation zu eigen und fokussiert so die Individualität, die zu einem Gemeinschaftserlebnis beiträgt. Ein künstlerischer Aufruf mit beinahe politischem Stellenwert anhand der Analogie zu einem demokratisch verstanden Klangkörper.
Auf Motschmanns Attack Decay, das mit kräftigen Klängen in pulsierenden Rhythmen und mit Godanis Choreographie, in der viele Versatzstücke der Bewegungen des Dirigenten wiederholt wurden und auch an Béjarts Bolero erinnert, folgte Bartóks Streichquartett Nr. 4 für die Metamorphers. Hier tritt vor allem der markante Unterschied zutage, dass eine kleinere Besetzung ohne Dirigat anderen Kommunikationsmechanismen unterworfen ist. Hatten sich vorher die Tänzer an dem Ensemble orientiert, löst Metamorphers eine klassischere Disposition aus: Gestik und Atmung der Musiker erzeugen hier die Abstimmungen untereinander, wie es bei den Tänzern in Gruppenzusammenhängen sonst der Fall ist. Diese Kommunikation zwischen den Interpreten erhebt Godani zu einem wichtigen Bestandteil seines Werks. Ursprünglich saß das Musiker-Quartett 2016 auf einem erhöhten Podest und bespielte die Tanzfläche von oben, nun sind die vier Streicher an den hinteren Teil des Tanzbodens gesetzt. An den übrigen drei Seiten der nüchtern weißen Fläche waren die Publikumsbänke nahezu auf Augenhöhe der Tänzer angebracht. So konnten einige neuere Gesichter der Dresden Frankfurt Dance Company erkannt werden. Die erfahreneren Tänzer hatten in Metamorphers jedoch durch weniger Anspannung und mehr Spaß und sicherer Technik ein leichteres Spiel. Michael Ostenrath, David Leonidas Thiel und vor allem Anne Jung stachen durch ihre Vertrautheit und unentwegter Inkorporierung ihrer Charaktere hervor.