„Alles, was man schenkt, bleibt – alles, was man für sich behält, stirbt!“ So sagte es Gidon Kremer kürzlich. In den letzten beiden Oktobertagen durfte sich das Berliner Publikum von dem Geiger mit dem Solopart von Bartóks Erstem Violinkonzert beschenken lassen. Markus Poschner dirigierte dazu die Staatskapelle Berlin.

Hier kann Gidon Kremer seine ganze Kunst vorführen, Musik zu deklamieren, was sein Spiel so einmalig macht und auch dann beeindruckt, wenn seine Intonation mit 76 Jahren nicht mehr so traumsicher ist wie 2004, als er das Werk mit Pierre Boulez und den Philharmonikern das letzte Mal in Berlin interpretierte. Jede Phrase war frei gespielt und klang so, als wäre sie jeweils mit einer anderen Stimme gesprochen worden. Im wie versonnen nach innen gekehrten ersten Satz nahm er die vielen einzelnen Motive, aus denen Bartók den Solopart wie als Gewebe geflochten hatte, nicht als Kontraste aus unterschiedlichen Sprachschichten, sondern amalgamierte sie zu einer unendlichen Melodie, die sich über alle Grenzen hinwegsetzte. Manchmal verschleppte Kremer die Tonhöhen. So gelang es ihm, das verrätselte Portrait der Geigerin Stefi Geyer ins Geheimnisvolle zu verlagern, um zu treffen, was Bartók sich wohl ersonnen hatte. Kremer pflegte im gesamten langsamen Kopfsatz ein ganz eigenes Vibrato, das auf jedes künstlich aufgesetzte Espressivo verzichtete. Am Ende ließ er den Satz in flimmernden Tönen gen Himmel aufsteigen.
Zu Beginn des zweiten Satzes hat Bartók das Thema aus dem Kopfsatz zu einer zackigen Gestalt verbogen. Auch hier könnten Pedanten an Kremers Vortrag Intonationsschwankungen oder andere Ungenauigkeiten beklagen. Doch Kremer entschädigte damit, als Charakterdarsteller auf seinem Instrument ein vielseitiges Portrait zu entfalten, in dem neben hinreißend glühenden Tönen (im Seitenthema) auch witzige, burschikose Platz fanden.
Poschner, der kurzfristig für Philippe Jordan eingesprungen war, wusste in Mahlers Erster Symphonie genau, was er zum Klingen bringen wollte und legte eine überzeugende Darbietung des Werkes vor. Im Kopfsatz, den er aus den gestaltlosen Naturlauten sich entwickeln ließ und dabei auf jene schrille Überzeichnung verzichtete, die ihn ins Künstlich-Arrangierte übertragen hätte, stellte er die Fanfaren und Choralmotive heraus, die noch nicht im ersten, sondern erst im Finale zur Blüte kommen werden. Immer wieder hielt er im Kopfsatz die Musik an und ließ sie in einer Art Warteschleife auf der Stelle treten. Den Durchbruch zu Beginn der Reprise entlarvte er als vorschnellen Triumph und ließ sie darum ganz hastig abspulen. Im Finale durfte das Orchester zunächst das kolossale Hauptthema hervordonnern und stellte ihm, „sehr gesangvoll“ vorgetragen, den Des-Dur-Seitensatz entgegen, den ich derart beredt musiziert kaum einmal zuvor gehört habe. In der Reprise darf er sich nur kurz ausbreiten; denn die Motive des ersten Satzes ließen nun kein Zögern und Aufhalten mehr zu und so ließ Poschner das Orchester den Durchbruch nun endlich wirkungsvoll gelingen.
Auf die Charaktere der mittleren Sätze legte er viel Wert, stufte sie nicht als Intermezzi herab. Im zweiten Satz wusste er den derben Walzer schön vom zweiten abzusetzen, in dem sich Wiener Zärtlichkeit Gehör verschaffte. Im dritten war das Idiom einer böhmischen Kapelle mit ihrer Polka bestens getroffen. Diesen Lokalkolorit braucht die Musik Mahlers, um lebendig zu wirken. Auch hier, wie im Finale, legte Poschner das Gewicht auf die Abschnitte von Besinnung und ließ die „Lindenbaum“-Passage im Satzzentrum auch als echte Idylle spielen ohne sie ironisch zu brechen.