Wenn Klamotten nicht passen oder von vornherein den Maßen exakt entsprechen sollen, ist der Gang zum Schneider fällig. Im Falle von aus der Mode gekommenen Stücken ist eine generelle Änderung im Zuge eines Umstylings in Betracht zu ziehen oder man lässt sie getreu dem Motto „Alles erlebt irgendwann mal wieder sein Revival“ im Schrank. Jede dieser Varianten ist zumindest nachhaltig, um die Vorgehen selbst mit einem in Mode befindlichen Wort zu beschreiben. Kombiniert man diese mit geschmacklichem Geschick oder einfach ausgefallener Penetranz, entwickelt sie sich zu einem Stil. An der Oper arbeiten in mitunter noch flüchtigerer Präsenz einer Produktion Kostümbildner, um Kreationen für die Künstler zu erstellen und sie somit in die Zeit des literarischen Stoffes oder der Assoziation des Regisseurs zu versetzen. Nicht anders ist das in der Musik selbst, in der „Mode und Stil“, Thema der diesjährigen Tage Alter Musik in Herne, in verschiedenen Mustern in zeitgemäßer Form von zurechtgeschnittenen Blättern mit Takt- und Notenzeichnungen in Erscheinung tritt.

Ist zum Beispiel nach Barbara Strozzi und anderen Komponistinnen in vergangenen Jahrzehnten auch das Werk Élisabeth Jacquet de La Guerres diesbezüglich wieder längst auf dem Laufsteg der Bühne aufgetaucht, ereilte sich durch Jörg Halubek am 26. Mai 2023 in Stuttgart die Weltpremiere einer Oper Antonia Bembos. L'Ercole amante heißt sie, so wie der Vorläufer Bembos Lehrers Francesco Cavalli, der damit einen der bedeutendsten Höhepunkte danach in Frankreich auslaufender italienischer Stilistik komponiert hatte. Die Venezianerin Bembo, ebenfalls bei Strozzi gelernt und Zeitgenossin de La Guerres, machte sich ihrerseits mit dem Werk von 1707 in Paris auf, Rock und Schuh eines damals neuen Modephänomens zu tragen, zumindest wenn man en vogue sein wollte: Dem goût reuni aus nach dem Tod Ludwigs XIV. wieder Fuß gefasst habendem Italienischem und bis dahin dominierendem Französischem.
Gleich geblieben ist die mit Mode, auf Italienisch erzählte Story mythologischen Götter-Tobaks von Herkules, der – selbst Kind seiner Gattin Juno untreuen Olymppatriarchs Jupiter – seine Schwiegertochter Iole liebt. Soll Herkules der Sage nach auch in seinen Prüfungen stark gewesen sein, stürzte er seine Familie mit Frau Deianira und den sich tatsächlich ins Meer werfenden, aber von Neptun geretteten Sohn Hyllos ins Verderben. Zu offensichtlich väterlicherseits erblich schwach, charakterlich ungeeignet und anfällig für die der Ehegöttin Juno ein Dorn im Auge befindlichen Venus ist er. Mischen noch Herkules' Diener, ein Page, eine Grazie aus den Chören umtriebiger Wesen und der Geist Ioles verstorbenen Papas, Herkules-Feind Eutyros, mit, steht am Ende unter dem Maße von Rache und Gerechtigkeit das skurrile, gleichsam operntaugliche Ergebnis: Die tödliche Zauberkraft eines Umhangs befördert Herkules in den Himmel vollgöttlicher Annehmlichkeit, der Heirat ausgerechnet mit Junos Tochter, Miss Youth und Universe.
Schon vom Ensemblenamen passgenau, durfte Halubeks Ensemble Il Gusto Barocco diese Wiederentdeckung auch beim Festival in Herne vorstellen. Eben vom Namen her. Denn so anerkennungswürdig Halubeks Ausgrabung und eingerichtete Spielbarmachung ist, so wenig einleuchtend der interpretatorisch lethargisch anmutende Ansatz, mit der Oper dann doch nach damaligem Verständnis höfisch-damenschicklich bloß nicht aufzufallen. Schließlich fischte Halubek allzu im Seichten, als er ohne sich aufdrängendes Temperament, Bembo wirklich aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken oder für eine – gar stilistisch gemixte – Oper Elementares wie Kontraste und Theatralik aufzubieten, ein ermüdendes Dahinplätschern gestaltete. Zwar ist der angerufene Schlaf ein durchaus zentrales Handlungsmomentum, seine Wirkung über fast alles und jeden ausbreiten sollte er dann aber doch nicht. Von daher beschwörte erwähntes Todesgewand die Assoziation eines Deckmantels oder Nachthemds herauf, unter dem der euphemistisch erachtete „spannende“ Körper Bembos Ercole letztlich leider verschwand.
Mag äußerst getragenes Dauertempo sowie das sanfte Instrumental- und Vokalspiel wohlwollend noch Konturnähte französischer Eleganz aufgewiesen haben, tönte es allerdings – um es um Loriots 100. Geburtstag etwas komisch zu formulieren – nahezu sämtliche A- und Effekte in brav-behäbiges Lamento-Aschgrau ohne italienischere Würznoten. Darüberhinaus war Il Gusto Barocco mit solistischen Violinen selbst für eine barocke Oper unter heutigen Gegebenheiten (da Kontrabass statt Basse de violon) ungewöhnlich dünn besetzt, so dass auch dadurch der Eindruck entstand, es handele sich viel eher um ein pastorales Kammermusikstückchen. Natürlich ermöglichte das ganz größtenteils solide auftretende Ensemble dadurch eine sängerfreundliche Balance, in der die Solisten (als Chorsoprane wenig homogen wirkend) dynamisch einen Gang zurückschalten konnten.
Doch verleitete das einige dazu, insgesamt ziemlich zurückgezogen (und identifikatorisch merkwürdig) zu bleiben, wie eigentlich furchtlos wissender Diener Lichas, sein kecker Page oder nun wenig aus der Hölle Vergeltung sinnender Eutyros, obwohl Andres Montilla-Acucero, Arnaud Gluck und Hans Porten angenehme Stimmen besitzen. Das Beste aus dem Korsett machten die übrigen. Als unbeeindruckt sein Los annehmender Ercole Florian Götz mit bekannter Deutlichkeit seines Baritons, der auch die zahreichen tiefliegenden Töne wuppte, selbst wenn er an die Grenzen gelangte. Carine Tinney mit stahlendem Stimmdekor und Phrasierung in den Rollen genüsslicher Schicksalsbesieglerin Venus oder reizender Grazie, ebenfalls stimmgrundschlanke, aber timbriertere Flore Van Meerssche als entschlossene Ordnungspolitikerin und Strippenzieherin Juno. Inniger angedeutetes, deklamatorisch zufriedenstellendes Seelengemütsköcheln konnte außerdem vom Hyllos-Iole-Pärchen David Tricou und Anita Rosati (Sopran gen Ende kleinlauter) vernommen werden. Alena Dantcheva nahm Deianiras geknickten Realismus mit Würde und ansprechender Mittellage.