Das Boston Philharmonic Youth Orchestra besteht seit 2013 – und es spielt mit seinen mehr als 110 jungen, aktiven Mitgliedern im Alter von elf bis einundzwanzig Jahren bereits eine wichtige Rolle im Musikleben Neu-Englands. Mit dem Konzert im KKL Luzern schloss es unter Benjamin Zander seine zweite Europa-Tournee ab.
Das Konzert wurde eröffnet mit der Festouvertüre von Dmitri Schostakowitsch , einem Werk, das der Komponist 1954 zur Feier des 37. Jahrestages der Revolution auf eine kurzfristige Anfrage hin innerhalb der unglaublich kurzen Zeit von nur drei Tagen geschrieben hat. Es ist ein harmonisch traditionell ausgelegtes Stück, zum Teil angelehnt an Glinkas Ouvertüre zu Ruslan und Ludmilla, sehr eingängig, begeisternd. Es fordert den Musikern einiges ab an Virtuosität, speziell in der Koordination und in den virtuosen Bläserpartien. Zander nahm das Stück relativ zügig, aber nicht übertrieben schnell; er wusste genau, wie viel er den Musikern zumuten konnte: eine glanzvolle Eröffnung, vom Orchester mit Begeisterung gespielt, hinreißend, und wenn auch vielleicht nicht immer mit allerletzter Präzision, vom Publikum enthusiastisch gefeiert.
Die Herausforderungen im nachfolgenden Cellokonzert in h-Moll von Dvořák waren allerdings ganz anderer Natur: hier ist nicht extrovertierte Virtuosität gefragt, sondern das Eintauchen in den (von Dvořák ganz wesentlich mitgeprägten) tschechischen „Nationalstil“, und dazu die Begleitung eines Cellos, was sowohl für Komponisten wie für Orchester (zumal für einen so großen Klangkörper) spezielle Anforderungen stellt. In der orchestralen Einleitung habe ich die der slawischen Musik eigene Agogik vermisst, das kurze Hinhalten vor einem Höhepunkt, generell das Spiel mit den Gewichten innerhalb eines Taktes: die Musik erschien mir leicht oberflächlich, was wohl der Jugend der Musiker zuzuschreiben ist. Allerdings wurde dieser Eindruck völlig verdrängt durch den Eintritt des Solo-Instruments: mit Natalia Gutman spielte eine der letzten großen Persönlichkeiten ihrer Generation russischer Musiker, und somit gesellte sich zur Herausforderung eines Dvořák'schen Spätwerks noch diejenige, sich auf den Stil einer so erfahrenen Musikerin einzustellen – und hier erkannte man die Grenzen eines derartigen Projekts.
Oberflächlichkeit ist Natalia Gutmans Sache nicht; sie sah sich außerstande (oder war nicht gewillt), sich auf den jugendlichen Musizierstil des Orchesters einzulassen. So markierte sie mit dem risoluto des ersten Solos ein klar langsameres Tempo, das sich mit den schweren, absteigenden sforzato-Akkorden noch deutlich verlangsamte. In der Folge versuchte Zander, sich auf das Zeitmaß der Solistin einzustellen, jedoch ein eigentlicher Dialog oder eine Einheit zwischen Solo und Tutti wollte (und konnte) sich nicht einstellen. Anders als die Begleitung spielte die Solistin speziell an den intensiven Stellen mit reichem Rubato, mit sattem, weichem, singendem Ton, die melodischen Stärken des Werks auslotend. Das Orchester tat sein Bestes, da mitzuhalten, allerdings mit begrenztem Erfolg.