In nur kurzem Abstand voneinander zeichneten kürzlich das renommierte Magazin Opernwelt sowie die Jury des neu geschaffenen OPER! Award die Generalmusikdirektorin des Nürnberger Staatstheaters zur Besten Operndirigentin des Jahres aus. Wer in der vergangenen Spielzeit Joana Mallwitz' Dirigate in Prokofjews Krieg und Frieden sowie Wagners Lohengrin erlebt hatte, verstand nur zu gut, dass sie mit ihrer überbordenden Begeisterung im Musizieren und Gestalten Sänger und Instrumentalisten des Musiktheaters förmlich zu Höchstleistungen motivieren konnte und schnell auch überregional Aufmerksamkeit und Zustimmung erfahren hatte. So waren die Erwartungen hoch gesteckt zum Saison-Auftakt mit Giuseppe Verdis Don Carlos, der in seinem Schaffen zu den umfangreichsten und thematisch am meisten verwobenen Musikdramen zählt.
Verdis Vertonung von Friedrich Schillers Dichtung war ein Kompositionsauftrag der Pariser Opéra; bereits die ursprüngliche fünfaktige Fassung (im Libretto von Joseph Méry und Camille Du Locle) musste zur Premiere 1867 gekürzt werden. Für die Akzeptanz seiner Landsleute in Mailand erstellte er 1884 eine vieraktige italienische Version. In derNürnberger Oper verwendet man nun eine weitere, 1882 entworfene französische Fassung, die den ersten „Fontainebleau“-Akt wieder integriert und damit das Verständnis emotionaler Wurzeln erlaubt, die sich in Verlieben und Verlobung von Carlos, Sohn des spanischen Monarchen Philipp II., und Elisabeth von Valois aus dem französischen Königshaus eröffnen.
Jens-Daniel Herzog nimmt das Werk aus dem historischen Kontext, rückt in seiner Inszenierung einen schwachen, unentschlossenen Carlos in den Mittelpunkt, auf den sein Umfeld ebenso wie das Volk Hoffnung setzen, der aber in fahrigen, unüberlegten Aktionen eher strauchelt als siegt. Über weite Strecken verfolgt Carlos aus einem dunkelgrünen Samtsessel am Bühnenrand das Geschehen, mischt sich ein; sucht wieder die Geborgenheit dieses Kokons, wenn er zur falschen Zeit mit der falschen Idee scheitert. Zeitlos erscheint auch das Machtkalkül von Philipp, der seinen Unterdrückungsapparat optimiert, aber zu Hause von seiner Frau nicht geliebt wird. Aus Schillers Schauspiel entlehnt, mildert die zunächst kindliche Geradlinigkeit einer jungen Infantin (herrlich unbekümmert in ihrer stummen Rolle: Ottilie Herzog) die bleierne Stimmung im Hause Philipps: da wird sie auf Vaters Schultern getragen, schaut er Comic-Videos mit ihr; doch auch sie wird zerrissen von Liebesbezeugungen und Erwartungen der Eltern, wird von Philipp gezielt auf eine Rolle als gefühllose Herrscherin getrimmt, die sich zuletzt selbst ein Krönchen aufsetzt. In Mathis Neidhardts einfachem wie kennzeichnendem Bühnenbild drehen sich Holzwände zu immer neuen palisander-braunen sowie klinisch-weißen Räumen, in denen die Protagonisten, in grau-blaues Alltagsgewand oder Business-Kombination gekleidet (Sibylle Gädeke), über Politik sowie Gefühle verhandeln. Luftig helle Kleider heben Elisabeth aus der Hofdamen-Crew.