Regelmäßig ist es Mitte November grau, trist und kühl. Und auch wenn heute viele mit den sonntäglichen Festtagen nichts anfangen können, beschwert der Totensonntag zumindest vom Namen her das Gemüt. Musikalisch ist es traditionell die Zeit der Requien. Doch genauso wie das Verstorbenengedenken nicht nur von Trauer und Schwere sondern – mit zunehmendem Abstand – von positiven Erinnerungen bestimmt ist, kann dem auch an diesem Tag im klassischen Konzertbetrieb etwas entgegengesetzt werden. Solch willkommene Abwechslung bot die Philharmonie Essen, die das Ensemble Pygmalion unter Raphael Pichon einlud, Bach-Kantaten und -Motetten zu präsentieren.
Salopp könnte man sagen, Bach passt ja immer, auch anlassunabhängig. Ernster gesprochen ist unbestritten, dass gerade in Johann Sebastian Bachs Kantaten (und Motetten) die Trost spendende Emotion, Wärme und Humanität einhergeht mit (Glaubens-)Kraft, Zuversicht, Stärke und einer gehörigen Portion festlicher Beschwingtheit. Ganz im Sinne letzterer Attribute und im Zeichen des Gotteslobes stand also der Abend, der mit den beiden Singet dem Herrn ein neues Lied-Werken triumphierend, freudig begann. Das auch ganz persönlich, zumal es sich um absolute Lieblingsstücke handelt.
In Sachen Tempo und Schwung noch eine kleine Spur zurückhaltend eröffneten Pauken und Trompeten die Kantate, die eigentlich für den Neujahrstag konzipiert wurde, sich textlich aber in das Preisen des Herrn einreiht. Ein Meisterwerk voller Festlichkeit, Fuge, Tanz, arioser Melodie und Rhythmik. Perfekt eingebunden kombiniert diese Mischung der erste Chor in ekstatischen Lobeshymnen, die die Sänger des Ensemble Pygmalion mit klangentfaltender Stärke erschallen ließen. Zwar fehlte zusammen mit dem Orchester manchmal die lotende Kompaktheit, doch wurde auch das freudige Alles, was Odem hat, lobet den Herrn – Halleluja, in dem so viel Kraft, Freiheit und Luftigkeit steckt, mit entsprechender Betonung gut herausgestellt.
Danach kam Damien Guillon allerdings in der leichten Alt-Arie vor dem Höreindruck des starken Chores im Saal stimmlich recht kraftlos herüber. Dem Rechnung tragend musste das Orchester in der Begleitung auf stetes Piano gehen, damit der schöne, höhlenräumige Alt Guillons durchkam. Mit harmonischem Zusammenspiel überzeugten aber dann Thomas Hobbs und Benoît Arnould in sanftem Tenor-Bass-Duett mit Orgel und Viola da Gamba sowie Viola solo. Trotz der Unterschiedlichkeit der Stimmen, Arnould mit zurückhaltendem und angenehmem, etwas trockenem Bass, Hobbs dagegen mit ausgewogen runderem Timbre in guter Höhe, fügte es sich in die Atmosphäre von idealem Glaubensmut, ehe schließlich preisender Jubelchoral (bereits) das neue Jahr einläuten sollte.
Klang es in der Kantate schon an, explodierte der Chor stimmlich und artikulatorisch förmlich in den Motetten. Besonders der schwingend-klare und bewegliche Sopran trug die ersehnte Luftigkeit und Verve in Singet dem Herrn ein neues Lied auf den Lippen. Der langsame a capella-Mittelteil war unter Führung Raphael Pichons in fließenden Stimmen durch gekonnte Dynamik und Phrasierung spannend und ausdrucksstark gemacht. Hervorzuheben abermals der eindringlich starke Sopran, auch der gleichfalls wunderbare Alt und tragende Bass. Die rasante Doppelchor-Polyphonie Alles, was Odem hat, besonders das freudig-überschwängliche Halleluja, stellte zweifellos den Höhepunkt des Abends dar. Obgleich Pichon die Fuge noch schneller als Rekordhalter Gardiner nahm, litten darunter weder die chorische Einheit, die Verständlichkeit noch die musikalischen Motive. Wahrlich ein mitreißender Genuss!