Ludwig I. vererbte sprachbürgerlich den Begriff, den sich die Programmmacher der Festspiele Herrenchiemsee für ihr diesjähriges Motto erwählten: „Weltgetöse“. Schließlich ordnen sie es König Ludwig II. als legendärem Erbauer des unvollendet gebliebenen Neuen Schlosses auf der Herreninsel zur Flucht in die abgeschiedenere Natur und zu theatermondänem Eskapismus während der Industrialisierung und damit einhergehenden Entwicklung der Großstadtballung zu, benutzte es doch schon sein Großvater in einem Liebesgedicht und in „Auf der Insel Ischia“ seiner Erinnerungen aus Italien. Jedenfalls ließ sich darunter spielerisch leicht Joseph Haydns Die Schöpfung einplanen, die als heute paradebeispieliges, welterstehungstönendes Werk Ludwig I. als Teenager – bei aller angeborenen Schwerhörigkeit – eventuell doch aufgrund der europaweiten Veröffentlichung gehört haben könnte, ja eigentlich müsste.

Ein Muss für mich, es mit dem Kammerorchester Basel, dem Chor des Bayerischen Rundfunks, geschätzten Solisten und Giovanni Antonini in der üppig Versailles nachempfundenen Spiegelgalerie zu verfolgen, nachdem ich das Haydn2032-Projekt der Basler Stiftung und des Dirigenten von Anfang an beobachte. Co-Orchester ist dort ja Antoninis Il Giardino Armonico, mit dem er die Schöpfung bereits eingespielt und aufgeführt hatte. Jener Erfolg und auch Sommerfestivals in der Schweiz verlangten jetzt neben Herrenchiemsee nach einer Live-Gelegenheit mit dem KOB, befindet sich mit dem Giardino im September zudem schon die neue Aufnahme und Tournee mit Haydns Jahreszeiten in baldigen Startlöchern. Dies der Ordnung halber erwähnt, suchte man mit der urknalligen, durch Bässe und Pauken dunklen „Vorstellung des Chaos“ nach selbiger, die Antonini mit der unverwechselbaren Bestimmtheit seiner instrumentalen Akzentstraff- und Klangstriktheit in solche – hier nicht so hastigen – Bahnen lenkte, dass sie einem bei gleichzeitig vorgelagertem zerbrechlichem Zurechtfinden tatsächlich wie das flackernde Vor- und Nachzünden explodierender Sterne erschienen.
Stand diese Strenge ab der Lichtwerdung mit dem sich als feierliches Bollwerk erweisenden BR-Chor als theatralische, voluminöse „lauter Gesang“-Wucht eindeutig im Mittelpunkt, lag der ariettenhafte, rundliebliche Kontrast darunter. Und zwar bei Uriel im „leisen Gesang“, die umwerfend eingebrachte Stärke Maximilian Schmitts, die seine eigentlich natürliche Weichheit, lichtbelassene Zierlichkeit und konturierte Prägnanz im Gegensatz zum dynamischen Fordern in der Höhe betonte, mit der er thronend und dennoch gestalterisch versiert die unerlässliche Oratoriumsdramatik ein wenig zu opernhaft tönend in einem unfeiner-altbackeneren, astilistischen Sinne stemmte.
Bei Nikola Hillebrand als Gabriel sollte das im innerbalancierten und trotz aller örtlich schwierigen klimatischen Verhältnisse unerschütterten Orchester vernehmbar Ariose bis zum „Auf starkem Fittiche“ zu Beginn des zweiten Teils dauern. Darin legte die Sopranistin – wie in all ihren Einsätzen, nicht nur bei den gefiederten Geschöpfen – die im Vergleich zum Chor (der singt beispielsweise ein gedehnteres statt kürzeres „entspringt“) ausgefeilt neckische, vom Lied kommende, deklamations- und diktionslebendige Wortkreierung an den berichtenden Tag des sich selbst textimitatorisch am „Reizenden“ und „Anmutigen“ des Wunderwerks ergötzenden Erzengels. Sondern auch die nachdrückliche wie selbst dann in diesem stimmlichen Anfüllen figürlich absolut sichere Beweglichkeit, die einer aus den Zeilen enteilten ranken Gazelle glich.
Mit vehementer wie äußerlich durch so viel Werkerfahrung gelassener und lautmalungsfreudiger sowie durch seine typische, eigenwillige Höhen- und Dämpfertechnik bei sonorem Grund gelenkige Attitüde des Raphaels besaß Florian Boesch die Gabe, an jeder schöpferischen Tat effektvoll und begeistert Teil gehabt zu haben. Formte er so schon genüsslich und stolz, nachvollziehbar und wirkmächtig Himmel, Natur und Getier, verhalf ihm dies zu einem gönnerhaften Adam, der sich mit Hillebrands erschmlozenden, frischen Eva in Demut und Respekt ergoss. Es hätte es daher gar nicht bedurft, doch untermalte das gerade Entstandene und die besungene Sehnsucht nach der „Kühle des Abends“ zudem noch ein draußen aufgezogenes Sommergewitter im dritten Teil. Da goss es also mit Donnergrollen und Blitz, während drinnen Antonini Chor, Solisten und Orchester, vor allem das naturgegebene Sich-Melden feuerwerksmäßig ohrenbetäubend überrollende Pauken, mit finalem Dankpreis eben zu einem prasselnden Weltgetöse schallen ließ.