Das Ende überrascht schmerzlich: nach einer 25-minütigen synchron getanzten energiegeladenen Bewegungsorgie, die die 15 wie ein einzelner pulsierender Organismus agierenden NDT-Tänzer an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit brachten, wird es ganz schlagartig dunkel. Das Publikum wird damit unfreiwillig abrupt aus einer durch ein perfektes Zusammenspiel von Musik (Xiao He), Bewegung und Licht (Ellen Ruge) evozierten Bewunderungstrance geworfen. Die sich danach entladenen Begeisterungsstürme lassen keinen Zweifel aufkommen: Tao Ye Choreographie 15 hat beim Premierenpublikum des Nederlands Dans Theaters in Den Haag eingeschlagen wie eine Bombe.

„Ich mache keine Tanzvorstellungen, bei denen man weinen oder lachen kann. Ich ziehe es vor, dem Zuschauer verschiedene Blickwinkel und Richtungen anzubieten.” Sagt Tao Ye, der in seiner Heimatstadt Chongqing eine traditionelle Tänzerausbildung durchlief. Nachdem er mit dem Shanghai Army Song & Dance Ensemble getanzt hatte, schloss er sich später der Beijing Modern Dance Company an. Im Jahre 2008, gerade 23 Jahre jung, gründete er dann dort in Peking sein eigenes TAO Dance Theatre.
15 ist seine erste Zusammenarbeit mit einer westlichen Tanzkompanie. Für seine eigene Kompanie wählt er seine Tänzer selbst aus, und verbringt dann Monate damit, um ihnen seinen Stil und das durch ihn entworfene Circular Movement System beizubringen. Beim NDT in Den Haag hatte er nur sechs Wochen zum Proben und zeigte sich vor der Premiere sehr beeindruckt von der virtuosen Lernfähigkeit von dessen internationalem Tänzerteam.
Tao Ye‘s Choreographien sind sowohl primitiv wie auch futuristisch. Raum und Rhythmus, Flexibilität und Flow und hart abrupte und fließende Übergänge und Bewegungsabfolgen kennzeichnen seinen Stil. Und natürlich ist er beeinflusst von der Kultur und Geschichte Chinas. „Ich sehe den Körper als ein Geschenk, als einen Tempel. Der Tanz ist seit jeher eine rituelle Kunst. Während man tanzt, ist man im Dialog mit Gott, egal wie man sich diesen inneren Gott vorstellt.” Er zeichnet sich in seinen Choreographien durch einen minimalistischen Stil, Wiederholungen und Beschränkungen aus. Zu seinen kreativen Konzepten gehören: Konzentration auf die Furchen der Wirbelsäule bei gleichzeitiger Ausblendung der Bewegungen der Gliedmaßen der Tänzer, Einschränkung der Körper der Tänzer auf der Tanzfläche, um die Sichtbarkeit in zwei Dimensionen zu begrenzen und vieles mehr.
In The Point Being beschäftigen sich die Geschwister Imre und Marne Van Opstal mit dem Phänomen der Synchronizität. Damit bezeichnete Carl Gustav Jung zeitlich korrelierende Ereignisse, die nicht über eine Kausalbeziehung verknüpft sind, jedoch als miteinander verbunden, aufeinander bezogen wahrgenommen und gedeutet werden. Die von Drift entworfenen spielerischen Bühnenbilder verteilen die Tanzfläche unter Einsatz von Bühnennebel und raffiniertem Lichtdesign (Tom Visser) in ineinander übergehende unterschiedliche Ebenen. Die neun Tänzer tanzen vor allem kurze Duette, wonach sie in eine Betrachterrolle fallen, um ganz plötzlich wieder aktiv zu werden. Während der 35 Minuten geriet diese ideenreiche Gemeinschaftsarbeit vor allem auch durch die sehr experimentelle synthetische Musik von Amos Ben-Tal sehr statisch.
Viel Mut und Charakterstärke bewies das NDT zu Beginn des Abends mit der schnellen Wiederaufnahme von Marco Goeckes vor 1,5 Jahren uraufgeführten I love you, ghosts. Das für Goeckes Stil typische Werk mit seiner Isolierung von Slapstick-artig schnellen Hand- und Laufbewegungen und dem Spiel von Licht und Dunkel (Udo Haberland) besticht wiederum durch seinen entwaffnenden Humor, seiner von einer profunden Musikuntermalung getragenen Melancholie und dem intime Verletzlichkeit offenbarenden Spiel zwischen Ängstlichkeit und strotzender Pose. Als (ironischen) Kommentar zu Goeckes rezenter öffentlicher Entgleisung in Hannover könnte man die sehr übertrieben vorgetragenen Kotzgeräusche der Tänzer interpretieren, die Harry Belafontes Danny Boy stellenweise deutlich übertönten. Das Nederlands Dans Theater bleibt seinem deutschen Choreographen treu.