Im Rahmen des Festivals „Into Iceland“ öffnete die Hamburger Elbphilharmonie am zuletzt ihre Tore für die Musiklandschaft Islands. Wenngleich dieses Land nur rund 320.000 Einwohner zählt, hat sich hier in der jüngeren Vergangenheit eine bemerkenswerte Musikkultur entwickelt. Ikonen ihres Fachs wie Björk repräsentieren die facettenreiche Pop- bzw. Rockszene Islands, doch mittlerweile ziehen auch die Kollegen aus der klassischen Musik nach. Grund genug also, im Rahmen des Festivals auch ein Symphoniekonzert aufs Programm zu setzen, das nicht nur zwei isländische Komponisten, sondern auch einen Landsmann am Klavier ins Zentrum des Geschehens stellt.
Einzig auf einen isländischen Dirigenten musste das NDR Elbphilharmonie Orcheste verzichten, hatte sich aber mit Esa-Pekka Salonen einen alten Bekannten als zumindest auch aus Europas Norden stammende Alternative eingeladen. Und dank seiner langjährigen Tätigkeit beim Los Angeles Philharmonic Orchestra sollte sich Salonen im Laufe des Konzerts auch deshalb als gute Wahl erweisen, weil er mit den akustischen Möglichkeiten des Großen Saals der Elbphilharmonie – die den Verhältnissen in der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles ausgesprochen ähneln – hervorragend umzugehen verstand.
Das Konzert am vergangenen Freitag begann dennoch mit einem wenig isländischen Werk aus der Feder des Amerikaners Charles Ives: The Unanswered Question wartet bekanntlich mit einer regelrecht bescheidenen Besetzung aus Streichern, solistischer Trompete und vier Holzbläsern auf. Dass die drei Orchestergruppen laut Partitur räumlich getrennt voneinander aufgestellt werden sollen führte dazu, dass Streicher und Trompete unsichtbar aus dem Off spielten, während die vier Holzbläser auf der Bühne im ansonsten abgedunkelten Saal Platz nahmen. Trotz anhaltender Unruhe im Publikum während dieses Stücks gelang es Salonen, einen intensiven Austausch zwischen den drei Musikergruppen zu etablieren, obwohl sich diese eigentlich völlig unabhängig voneinander die Bälle zuzuspielen scheinen. Mit großer Klarheit intonierte vor allem das vierköpfige Holzbläserensemble, das in einem wilden Geplapper die von der Trompete in den Raum gestellten Fragen zu beantworten versucht. Der als Basis von den Streichern gelegte Choral war als rahmengebendes Fundament, dabei zugleich zart und dezent interpretiert. Ein passender Ohrenöffner für die folgenden, unbekannten Werke.
Anna Thorvaldsdóttirs Aeriality ist eine faszinierend anzuhörende Komposition, die den Raum zwischen bloßem Geräusch und zu Musik geordneten Klängen auslotet. Eine direkte Vermittlung zwischen beidem scheint in Thorvaldsdottirs Komposition nicht möglich zu sein. Es ist denn auch keinerlei Melodie, die sich anfänglich in Aeriality etabliert, sondern schlichte Klanglichkeit: dort knarzt und knackt ein Pizzicato, hier klappert und scheppert das Schlagwerk am äußersten Rand der Hörbarkeit, dann fiepen und rauschen in minutiös austarierter Schichtung die Bläser, sodass sich ein quasi in Töne umgedeuteter Lufthauch etabliert. In großer Düsterkeit scheinen sich gewaltige Prozesse zu vollziehen, die unmittelbar an die in Island so präsenten Naturgewalten angelehnt sein mögen. Es vergehen rund zehn Minuten, ehe sich aus diesen Klanggewalten plötzlich so etwas wie Musik im konventionellen Sinne herausschält und von den Streichern für einige Augenblicke eine harmonische Melodie intoniert wird. Der so unmittelbar spürbaren Spannung in Aeriality zeigte sich das NDR Elbphilharmonie Orchester gut gewachsen und bestach mit feinem Streicherklang ebenso wie mit flirrenden Holzbläsern und sonor in der Tiefe verankertem Blech.