Unter dem Taktstock von Sakari Oramo gab die Königliche Philharmonie aus Stockholm ihr jährliches Gastspiel in Göteborg. Neben einem Stück von Anders Hillborg wurde mit der Fünften Symphonie von Sergej Prokofjew  und SibeliusViolinkonzert groß aufgespielt.

„Wie in einem Bild des surrealistischen Malers Salvador Dali können sich auch hier Objekte verzerren, verfließen und sich verwandeln.“ So beschrieb ein Kritiker Hillborgs Werk Exquisite corpse nach dessen Uraufführung. Den ungewöhnlichen Titel des Stückes stammt von einem gleichnamigen französischen Spiel, in dem die Beteiligten die Arbeit des Vorgängers fortsetzen, nachdem sie nur dessen letztes Zeichen enthüllt bekommen und nicht den Hintergrund dazu kennen. Diesen Gedanken verfolgte der schwedische Komponist und versuchte, Passagen aus seinen eigenen Werken mit denen anderer Musiker zu verbinden.

Das Werk wurde von der Königlichen Philharmonie in Auftrag gegeben, die es 2002 uraufführte und für ihr Konzert in Göteborg mitbrachte. Ich fühlte mich dabei an eine schwebende Reise durchs Weltall erinnert, als sich nach und nach die lang gezogenen Akkorde der Bläser erhoben. Leise setzte eine oszillierende Violinstimme ein, die das Rotieren und Bewegen der Himmelsfiguren beschreiben könnte. Hell erstrahlte die Trompete und signalisierte mit einer fanfarenähnlichen Melodie die Ankunft am Ziel. Viele solcher Bilder beschworen die schwedischen Philharmoniker herauf, so fand ich mich auch einem Moment im Urwald wieder, bevor das Finale an ein futuristisches Inferno erinnerte. Mit großem Facettenreichtum und einem harmonischen Fluss in der Musik zeigten die Musiker nur zu deutlich, dass dieses Stück für sie maßgefertigt wurde.

Die goldene Mitte und den persönlichen Höhepunkt des Konzertes bescherte Lisa Batiashvili mit Sibelius’ Violinkonzert. Das Violinkonzert des finnischen Meisters, der selbst virtuos Geige spielen konnte, ist nicht seine einzige Komposition für Orchester und Violine und doch hat es nur seine erste zu Weltruhm geschafft. Zahlreiche Werke sollten folgen, während er keinem anderen Instrument je einen vollwertigen Solopart schrieb. Das eine Violinkonzert strahlte an diesem Abend seine ganze Größe aus.

Das zarte Säuseln der Orchestergeigen verkündete den Anfang, die Solovioline stimmte herzzerreißend ein und man hatte das Gefühl, die Zeit stünde still. Der erste Eindruck von einer eleganten und bescheidenen Solistin verlor sich während des ganzen Werkes nicht. Trotz der hohen Tonlage ihres Instrumentes klang ihr Vortrag nie schrill und auch an den virtuosen Stellen schien sie immer der Musik und nicht des Ruhmes Willens zu spielen. Auch die Musiker im Orchester folgten diesem geerdeten Gedanken. Wenn sich die einzelnen Bläser im Mittelteil zur Melodieführung der Geigen gesellen, stellte sich dabei keiner in den Vordergrund. Alle Stimmen waren dadurch auf einer Ebene vereint und ertönten stets im völligen Einklang.

Auch im zweiten Satz war diese Einheit im Kollektiv der Musiker zu spüren. Lisa Batiashvili präsentierte mit verinnerlichter Ruhe den zerrissenen Schmerz ihrer Partie. Nie verlor sie die Balance in ihrem Vortrag, auch wenn das Orchester hinter ihr wild aufloderte. Dass auch in ihr eine feurige Kraft steckt, bewies sie im dritten Satz. Nachdem Pauken und Celli ausdrucksstark das Thema des Allegros einleiteten, führte sie das markante Motiv weiter und war das treibende Glied im Geschehen. Auch Dirigent Sakari Oramo feierte den Schlusssatz mit beeindruckender Lautstärke im Tutti, die einen spannenden Kontrast zu den kleinen Soli der verschiedenen Stimmgruppen lieferte.

Mit Prokofjews Fünfter Symphonie hatte das nuancierte Violinkonzert einen interessanten Gegenpart. Laut und gebieterisch erhob sich der erste Satz mit tiefem Blech. Ein sehr männliches Werk tat sich auf, mit klaren Strukturen und kraftvollen Akzenten. Auch das Allegro marcato lebte von seiner starken Struktur. Die Philharmoniker gestalteten das stetige Vorwärtstrippeln dieses Satzes mit Schwung und Präzision, sodass die klaren Tempoangaben nicht beengend sondern unterstützend wirkten. Besonders gelang ihnen dies bei der pizzicato-Passage der Streicher, in der die Trompeten das Fortschreiten der Melodie übernahmen. Nach diesen beiden „starren“ Sätzen konnte sich im dritten die schwere Süße Russlands voll ausbreiten. Das schwelgerische Innehalten wurde schnell von neuer Dramatik abgelöst. Mit preschenden Crescendo-Bögen gestaltete Oramo das Finale, wobei er leider nie die Kraft des Beginns zuließ.

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