Verdis einzigartige und unverkennbare Ouvertüre von La forza del destino erklingt als verkürztes Preludio – direkt erwarten die Zuschauer auf dem schwarzen Bühnenvorhang auch schon schockierende Bilder: ein gehängter schwarzer Sklave, rassistische Propagandafilme, Mitglieder des Ku-Klux-Klan mit brennenden Fackeln, Bilder von Rassentheorien, usw. Es sind Bilder, die erschrecken und schockieren. So schockierend diese Bilder auch sein mögen, sie sind vor allem eins: wahr! Sie sind Zeugnisse einer Nation, die auf institutionalisiertem Rassismus, Gewalt und Unterdrückung von Minderheiten aufgebaut wurde und auch heute noch mit eben diesen Problemen zu kämpfen hat. Regisseur Tobias Kratzer nimmt den Zuschauer in seiner Lesart von Verdis Oper auf eine Reise durch die Geschichte der USA und zeichnet dabei ein ebenso schockierendes wie schonungsloses Portrait der amerikanischen Gesellschaft.
Den Ausgangspunkt der Oper verlegt Kratzer ins Amerika des Sezessionskrieges der 1860er Jahre; eine Zeit, die geprägt ist von Aufruhr und Veränderung: die Abschaffung der Sklaverei durch Präsident Abraham Lincoln und der damit verbundene und letztlich kriegsauslösende Widerstand der Südstaaten, die Gründung der Konföderierten Staaten von Amerika und das Aufkeimen des Ku-Klux-Klans.
Der Handlungsort des ersten Bildes ist das Anwesen des Marchese von Calatrava – in der Frankfurter Produktion ein wohlhabender Plantagenbesitzer oder gar Sklavenhändler. Durch Dopplung des Geschehens auf der Bühne mit der dahinter befindlichen Leinwand verfolgt man zwei Versionen der Geschichte zeitgleich. Die eigens für die Produktion gedrehten eindrucksvollen Videos von Manuel Braun leiten in die zum Scheitern verurteilte Liebesgeschichte ein.
Während auf der Leinwand die Liebesgeschichte zwischen der weißen, privilegierten Tochter des Marchese und einem schwarzen Sklaven erzählt wird, ist die Ausgangssituation auf der Bühne genau anders herum. Die Tatsache, dass die amerikanische Sopranistin Michelle Bradley dunkelhäutig ist und der armenische Tenor Hovhannes Ayvazyan weiß, gerade umgekehrt des Libretto, löst Kratzer durch diese parallele Handlungsdarstellung. Gleichzeitig hinterfragt dieses stilistische Mittel vorhandene Machtstrukturen und Vorurteile. Es entsteht die Frage, welche der beiden überlagerten Handlungsstränge wahr und real sind. Oder kreiert diese Überblendung gar eine weitere Realität?
Michelle Bradley als Leonora war der unangefochtene Star des Abends. Ihre Stimme schien keine Grenzen oder Einschränkungen zu kennen. Ihre Höhen sang sie mühelos und beeindruckte mit einer leidenschaftlichen und warmen Stimme. In den tiefen Lagen dagegen wartete sie mit ungeahnt dunklen Stimmfarben auf und demonstrierte so ihre Vielseitigkeit. Don Alvaro, gesungen von Hovhannes Ayvazyan, bestach mit einer angenehm dunklen und markanten Stimmfärbung und war ihr in seiner Ausdruckskraft ein ebenbürtiges Gegenüber.
Die episodenhaften Anekdoten, die die Oper durchziehen und die Haupthandlung unterbrechen, macht sich Kratzer zu Nutze, um weiter durch die Geschichte Amerikas zu führen. Die von Verdi ursprünglich in ein Wirtshaus verlagerte Szene wandelt er in eine Art Rekrutierungs-Show um. Die jungen Soldaten trinken reichlich und schaukeln sich in Kriegsstimmung gegen Abraham Lincoln hoch und Preziosilla stimmt zu einer Kampfansage gegen die Feinde an, um Soldaten zu werben, während hinter ihr die Flagge der Konföderierten Staaten prangt. Geradezu meisterhaft zog Tanja Ariane Baumgartner die Männer mit ihrer Stimme in den Bann und spielte ihrer Rolle mit fast schon erschreckender Überzeugung.