Man stelle sich vor: Mitten im Konzert stimmen die Geigen plötzlich ihre Saiten nach. Undenkbar? - Keineswegs. Joseph Haydn hat diesen Gag sogar in die Partitur seiner 60. Sinfonie geschrieben. Ein Beispiel musikalischen Humors, wie er bei Haydn fast an der Tagesordnung ist – man denke nur an den Paukenschlag!
In diesem Jahr hat sich das Lucerne Festival ganz dem Humor verschrieben. So war es nur natürlich, dass dieses Werk mit dem Beinamen "Il distratto" die Ouvertüre zum diesjährigen Festival gab. Im strengen Sinne ist es auch gar keine Sinfonie, eher eben eine Ouvertüre mit weiteren fünf Sätzen, die als musikalische Zwischenspiele bei der Aufführung der damals beliebten Komödie Der Zerstreute dienten.
Ein Stück, in dem sich die Hauptfigur vor lauter Schusseligkeit einen Knoten ins Taschentuch macht, um den Termin der Hochzeitsnacht nicht zu verpassen, würden wir heute eher als Klamotte empfinden, aber Haydn hat in seiner Musik den Humor viel subtiler verpackt, und sehr dezent wurde er in diesem Konzert auch präsentiert. Das war einmal Bernard Haitink zu danken, der hier nicht mit dem dirigentischen Zaunpfahl winkte, sondern den Ausdruck allein der Musik überließ. Und natürlich den Instrumentalisten, die die Noten gestochen fein und klar zu überaus beredtem Klang formten, indem sie Haydns geistreiches Spiel mit den Gewohnheiten des Hörens diskret, aber deutlich aufs Korn nahmen.
Bald folgt im ersten Satz nach munterem Beginn eine Art Amnesie des Themas: der musikalische Gedanke verebbt mehrmals im Nichts - „verklingend“ steht über einem Dutzend von Takten völlig gleich klingender Viertelnoten, der musikalische Fluss tritt auf der Stelle. Im Menuett darf entweder gravitätisch geschritten oder albern getrippelt werden. Das Presto mutet wie eine Verfolgungsjagd an und dreht sich bis zum Schluss fulminant im Kreis. In verträumter Serenadenstimmung beginnt das Adagio, doch jäh wird man nach wenigen Takten durch lärmende Pauken und Trompeten wieder heraus gerissen. Und dann eben dieses Finale, wo es im feurigen Prestissimo plötzlich zu knarzen beginnt und die Geigen ungerührt von f nach g stimmen. Ein Fest musikantischer Freude schien es für das Orchester an diesem Abend gewesen zu sein, das sich von derart einkomponierten Scherzen nicht nur nicht vom Pfad musikalischer Präzision abbringen ließ, sondern zudem höchstgradigen Spielwitz versprühte.
Ganz anders zeigte sich der Humor bei Mahler – subtiler, hintergründiger, weniger fassbar. Die Vierte Sinfonie ist voll davon. Bereits in den ersten Takten entscheidet sich bei jeder Aufführung, ob er sich musikalisch ausdrücken wird. Gemütlich lässt der Satz sich an. Erst das Gezwitscher der Flöten, von den Narrenschellen dominiert, dann setzt das Hauptthema ein, betont graziös. Haitink kostete das vorgeschriebene Ritardando weidlich aus und im Auftakt seufzten sich die Violinen in dezentem Glissando auf den Leitton hinauf. Alles aber mit feinstem Geschmack und herrlichem Klang, weich, geschmeidig, sanft. Dass diese Gemütlichkeit nicht von Dauer ist, ist dann das Thema dieses Satzes.