Bereits die ersten Takte des Vorspiels erzählen, wovon diese Oper handelt: eine lang gezogene Dreiviertel-Note gebunden an zwei kurze Achtel, auf- und absteigend in Moll mehrfach wiederholt, bis die Phrase plötzlich abbricht und nach einer Generalpause neu anhebt - ein musikalisches Fluchtmotiv, das zum Begleiter der jungen Frau wird, der Titelheldin Luisa Miller, die wie ein unschuldiges Reh gehetzt und am Schluss gemeuchelt wird.
Bevor sich überhaupt die Bühne öffnete, machte das Stuttgarter Staatsorchester dies eindrücklich deutlich: Unter der Leitung von Marco Comin ließ schon der betont gehetzte Ausdruck der einleitenden Sinfonia erahnen, welch dramatischer Sog sich im weiteren Verlauf entwickeln wird. Dieser Rolle als dramatischer Spielmacher dieser Aufführung blieb das Orchester den ganzen Abend über treu.
Die Inszenierung lässt der Dominanz der Musik den ihr zustehenden Raum. Sie nimmt sich visuell zurück, verzichtet in einem minimalistisch gehaltenen Bühnenbild auf übermäßigen Aktionismus, verdeutlicht aber durch gezielt gesetzte Symbolik immer wieder handlungsbestimmende Motive. Wenn in der ersten Szene Luisas Geburtstag gefeiert wird und die Dorfmädchen mit roten Rosen gratulieren, verweisen zwei der Choristinnen bereits mit einer Totenkopfkrone auf das tragische Ende.
Denn der Mann, den Luisa Miller hier noch sehnlichst als ihren Geliebten erwartet, wird sie am Schluss aus blinder Eifersucht töten. Man kann derartige Hinweise bisweilen als etwas zu platt empfinden wie das erlegte Reh, das in Übergröße auf die Hinterwand projiziert wird oder die Rückerinnerung Luisas an ihre ersten Begegnung mit Rodolfo als weich gezeichnete Videosequenz; sie geben aber in der kargen Szenerie immerhin einen bildlichen Background.
In derart stilisierter Bühnenumgebung hat die Regie von Markus Dietz der Personenführung große Aufmerksamkeit geschenkt. Die Charaktere werden präzise gezeichnet und wurden durch die Besetzung der Wiederaufnahme auch eindrucksvoll dargestellt. Die Afroamerikanerin Adina Aaron ließ als Luisa die tragische Fallhöhe dieser Figur von der Unbefangenheit der ersten Liebe bis hin zur tiefen Verzweiflung über die schändliche Intrige intensiv spüren. Ihre wandlungsfähige Stimme ließ im Glückstaumel des ersten Akts die Koloraturen brillant perlen, tief berührend gestaltete sie das Lamento im Augenblick tiefster Todessehnsucht im dritten Akt. Als musikalischer Seelenspiegel Luisas kommt in der Oper an prominenten Stellen die Klarinette solistisch zu Wort, was an diesem Abend stets ein besonderer instrumentaler Glanzpunkt war, im Ensemble allerdings eines insgesamt ganz hervorragend spielenden Orchesters.
Als Rodolfo stellte der südamerikanische Tenor Gaston Rivero jenen Typ eines selbstbezogenen und larmoyanten Liebhabers dar, der diese Figur in der Opernfassung mehr ist als der idealistisch überschwängliche Ferdinand in Schillers Drama (derselben Figur, deren Namen aus Gründen der Zensur von Verdis Librettisten geändert werden musste). Breitbeinig auftretend und in den Gefühlen immer irgendwie unecht wirkend hat er sich unter falschem Namen zuerst die Liebe Luisas erschlichen, lässt sich dann abgeschirmt von Bodyguards verspätet auf ihren Geburtstag sehen.