Mozart und Beethoven, Ouvertüre, Klavierkonzert und Symphonie, klassischer geht es nicht – oder? Bei MusicAeterna und Teodor Currentzis weit gefehlt, denn bei ihnen ist nichts – im aus heutiger Sicht verbrämten Sinne – klassisch. Ihre weiter kontrovers diskutierte Radikalität passt zumindest zu den beiden Komponistenrevolutionären und den ausgewählten Werken, die alles andere sein sollten und in der Interpretation dieser Permer Pyrotechniker auch waren als ein lauwarmer, öd-gesalbter Aufguss von ach so nettem Altbekannten.
Zunächst machte als äußerlicher Bruch der Tradition das Solokonzert den Auftakt vor der einleitenden Ouvertüre, was später allerdings auch zu einer längeren Umbaupause vor der eigentlichen Zäsur führte. Dennoch hatte es seine Berechtigung, gilt die Schlusscoda des Klavierkonzerts in G-Dur doch als Figaroischer Opernanklang. Ehe Mozart und der tanzbeinschwingende Currentzis dort in schalkhaften Variationen den höfischen Staub herauspusteten, indem das aufnehmend verzierte Hammerklavier köstlich mit den Bläsern durch die Reihen lachte und im Chasse-Double seinen unkonventionellen Veralberungsrausch fand, setzte Alexander Melnikov in seinem Solo des lieblichen, neckischen Eröffnungssatzes die akzentuierten Nadelstiche, die MusicAeterna auszeichnen. Hinzu kamen selbstredend die dynamischen Extreme, besonders in leisesten Pianissimi, sowohl von Klavier als auch Orchester, die einhergingen mit größeren agogischen Verschiebungen. Sie verliehen seinem feingewobenen Spielwitz in Übergängen und den zärtlich-herzaufgehenden Melodiethemen einen kindlich erkundeten Geheimnistouch.
Den vorsichtigsten Hauch der Kadenz steigerte Melnikov mit jedem seiner Anfänge des sehr getragenen Andante, in dem er die elegante Zerbrechlichkeit mit kontrastierenden energisch-dunklen Schritten verdeutlichte. Nicht nur, dass er die thematisch-harmonischen Expressionen im luftig-wiegenden Klangkleid aus emportröpfelnder Tiefe zu erhabenem Entgegenstemmen formte, er erwies sich außerdem – trotz oder gerade wegen des tippelnden, schwingenden Dirigentencharismatikers – als Solistengröße angemessen und in Szene gesetzt, ja zudem als dynamisch noch stärker und radikaler gegenüber Currentzis' Vorgehen. Dazu kostete Melnikov im großen Solo die nie trockene Farb- und Phrasierungspalette des Fortepianos aus, die er in jeder Überlegenheit zum modernen Flügel von runder, lichter Weichheit bis zum raueren, borstig-naturalistischen Charme präsentierte.
Richtete Currentzis im Klavierkonzert die Orchestergröße noch etwas nach historischer Betrachtung – zu der auch korrekterweise Melnikovs Mitspielen der Orchesterexpositionen gehörte – aus, warf er mit der anschließenden Figaro-Ouvertüre auch diese Konvention über Bord, als siebenundfünfzig Instrumentalisten (bei Beethoven dann sechsundfünfzig, sodass es je ein Cello- und Kontrabass-Streicherpult weniger hätten sein dürfen) auf der Bühne standen. Dabei kam das große Gewicht an Bässen in der leider nach wie vor gewählten amerikanischen Sitzordnung noch nicht einmal für diejenigen an, die wie sie auf der rechten Seite der Tonhalle saßen, da der Klang nach links abstrahlte, während beide Violingruppen ausschließlich nach rechts glänzten. Die schüttelnden Handgelenke und schnell wedelnd-blinzenden Finger des Dirigenten warfen die Mozart-Maschine jedoch an, um mit der homogenen Truppe die technische Höchstleistung der spaßig und trutzvorausschauenden Erfrischung schlechthin durchfegen zu lassen, in der neben der wahnsinnigen Holzmitte auch die fulminanten Horn- und Paukenakkorde Anzeichen von Rauschzuständen hatten. Wie punktgenau diese bei MusicAeterna in Fleisch und Blut übergegangen sind, offenbarte, dass ihnen sogar der von Currentzis verschlagene Schlussakkord nichts anhaben konnte.