„Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet“, steht es am Tor zur Hölle geschrieben. Und bei dieser musikalischen Öffnung der Höllenpforte, dem zunächst dumpfen Wabern, dass sich schließlich im lautem Orchestertutti der Blechbläser entlädt, weicht die Hoffnung schnell dem Grauen. Furchteinflößend ist der Eintritt ins Inferno und man ahnt, dass der Weg Dantes durch die neun Kreise der Hölle kein leichter Weg sein wird. Die als Auftragswerk von Oper und Schauspiel Frankfurt entstandene Oper sollte bereits vor über einem Jahr zur Aufführung gebracht werden. Wegen oder Dank der Coronapandemie wird Lucia Ronchettis Inferno nun überaus passend im Dante-Jahr 2021, zu seinem 700. Todestag, zur Premiere gebracht. Zunächst jedoch nur in konzertanter Form. Ein Opernfilm wurde bereits von den Regisseuren Kay Voges und Marcus Lobbes fertiggestellt und wird am 11. Juli ebenfalls im Bockenheimer Depot, zusammen mit der aufgezeichneten Opernmusik, gezeigt.
Dante Alighieris intensive und lebhaft beschriebenen Höllenvisionen bieten eine mehr als ideale Inspiration für die Visualisierung seiner infernalischen Reise auf der Opernbühne. Unter dieser Voraussetzung komponierte Ronchetti eine unglaublich bildliche, atmosphärische und erfahrbare Musik, die in den Köpfen der Zuhörer*innen ganz eigene Höllenvisionen aufflammen lässt, und die tatsächlich auch ohne Bühnenbild funktioniert.
Dank Zuhilfenahme nur dreier Klangquellen – zwölf Pauken für vier Perkussionist*innen, vierzehn Blechbläser*innen und ein Streichquartett – wurde eine transparente Partitur geschaffen, die diese zeitgenössische Musik zugänglich, geradezu verständlich macht. Die instrumentalen Möglichkeiten der Blechblasinstrumente werden ebenso kreativ wie eindringlich ausgenutzt und auch die menschliche Stimme wird instrumentalisiert: der Chor der verlorenen Seelen und die Sünder*innen, denen Dante begegnet, machen ihren Qualen durch Schreien, Zischen, Seufzen und Stöhnen Luft.
Die Raumbühne des Bockenheimer Depots wird voll und ganz ausgenutzt und die Platzierung der Instrumente und Sänger*innen schaffen ein immersives Musikerlebnis. Besonders die Pauken in allen Himmelsrichtungen bilden einen umschließenden Klangrahmen.
Die Italienerin Lucia Ronchetti gehört zu den renommiertesten Komponist*innen der Gegenwart und beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit Dante. Ihre Vita schließt u.a. eine Ausbildung am Konservatorium Santa Cecilia in Rom und am IRCAM-Institut in Paris ein. Ihr Schaffen reicht von Opern und Kammeropern für professionelle und Laienensembles bis hin zu musiktheatralischen Experimenten ohne Bühne (von ihr „Drammaturgia“ genannt), die sie an zahlreichen großen Häusern in ganz Europa realisiert hat.
Ihre Musik entwickelt unter Leitung Tito Ceccherinis von Anfang an eine Soghaftigkeit, derer man sich schwer entziehen kann. Ronchetti nutzt immer wieder musikalische Zitate aus mehreren hundert Jahren Musikgeschichte. Von madrigal-ähnlichen Gesängen, historisierten Klängen, dann plötzlich ein Saltarello, dann wieder kontrastierende Kakophonie – bei Ronchetti ist alles vertreten, sodass man meint, einmal sogar einen überaus blechernen, verfremdeten Walkürenritt zu hören. Geradezu humorvoll ist ihr Umgang mit dem Werk, wenn sie vorm Auftritt des Teufels zwei (Teufels)Geiger spielen lässt, die an die virtuosen Capricen Paganinis erinnern.