Für sein viertes und letztes vorläufig letztes Konzert als designierter Chefdirigent der Berliner Philharmoniker setzte Kirill Petrenko mit Schönberg und Tschaikowsky zwei Komponisten auf das Programm, die auf den ersten Blick nicht recht zueinander passen wollen. Schönberg hielt von Tschaikowsky nicht viel, und Tschaikowsky hätte Schönberg vermutlich auch nicht besonders geschätzt. Doch am Ende des Konzerts erwies sich diese Gegenüberstellung doch als wechselseitige Erhellung. Schönbergs Violinkonzert borgte sich ein wenig von Tschaikowskys Eleganz und gab ihm dafür von seiner Unerbittlichkeit ab, die der Fünften gut zu Gesicht stand. Freunde sind die beiden nicht geworden, aber auch keine Feinde geblieben.
Dass Schönbergs Violinkonzert an diesem Abend so lebendig klang, lag aber vor allem an Patricia Kopatchinskaja. Wenn Boulez einst monierte, dass Schönbergs neue Kompositionsprinzipien im Widerspruch zu den tradierten Formen stünden, ist dies für sie ein Gewinn. Es gelang ihr nämlich, Schönberg so zu spielen, wie er seine Musik letztlich wohl gehört haben wollte: So komponiert wie Brahms, nur eben mit einer Reihe, statt mit einem Thema und ohne die Gravitationskraft der Tonalität. Die Solistin packte ihren Part zuweilen grob an und wandte sich ihm dann doch versöhnlich zu. Sie spielte hier lässig, da unschuldig, da trotzig, da pittoresk. Schönberg verzichtete auf jeden Schmuck und doch ist das Konzert hochvirtuos: Es sei für eine neue Art von „Geigenspielern mit 6 Fingern“ gedacht, wie Schönberg es formulierte, und Patricia Kopatchinskaja schien mindestens so viele zu haben. Aber sie zauberte nicht nur, sondern wusste, dass ihre Darbietung die formbildenden Strukturträger herauszuarbeiten hat, damit das Werk, so wie Schönberg es für alle seine Werke forderte, „fasslich“ wäre. Darum intonierte Kopatchinskaja die ganz zu Anfang erklingende rhythmische Keimzelle mit großer Hingabe und doch ganz kontrolliert. Sie entlockte diesem Motiv humoristische Züge und warf es ins Orchester und freute sich erkennbar, wenn es von dort zurückkam. Es gelang ihr dabei, ihren Solopart so losgelöst von aller Schwere zu spielen, dass die Rede von der Befreiung der Dodekaphonie aus den Fesseln der traditionellen Tonalität, wirklich erfahrbar wurde. So will atonikale Musik gespielt sein!
Es gelang den fabelhaften Musikern auch, über Schönbergs wienerische Ursprünge nicht nur hinweg zu spielen, sondern sie hervorzuheben: so in den Walzer-Anklängen im Scherzo-Abschnitt der Durchführung des Kopfsatzes und zu Beginn des graziosen Andante-Satzes. Doch hat Schönberg selbst gesagt: „My music is not lovely”, und so fällt in die letzten Takte ein katastrophischer Schluss, an dem nichts geglättet wurde.