Der Blockflötist Maurice Steger wird von einigen Medien zum „Weltmeister der Blockflöte“ erkoren. Ob man derartige Ranglisten in der Musik braucht, sei dahingestellt, Steger jedenfalls spielt in der allerersten Liga. Dass der sympathische Künstler in Zürich auf ein begeistertes Publikum stoßen würde, stand außer Frage, ist er doch einer der Lokalmatadoren, und natürlich wurde er seinem Ruf vollends gerecht. Er spielte mit dem Zürcher Kammerorchester, das über die Jahre seit den Anfängen unter Edmond de Stoutz eine gewaltige Entwicklung durchgemacht hat und sich als veritables Barockorchester präsentierte, wobei die Streicher mit Barockbogen und ohne Vibrato spielten, Violinen und Bratschen sogar stehend.

Der Anlass diente dem Solisten zur Präsentation seiner neusten CD mit Kompositionen von Vivaldi, und er ergänzte einige dieser Concerti in diesem Programm durch weitere Werke des gleichen Komponisten. Manche mögen sich fragen: ein ganzes Konzert nur mit Vivaldi, geht denn das? Soviel sei vorweggenommen: ja, es geht tatsächlich, wenn die Musik so kompetent, lebendig, spannend und abwechslungsreich dargeboten wird.

Das Concerto C-Dur für Streicher eröffnete den Abend, rhythmisch prägnant, aber ganz im Pianissimo: das Publikum fand sich gleich mit den ersten Tönen vollends im Bann dieser Musik und Klangwelt. Der Übergang zu den zwei Folgesätzen war fließend; am Ende des letzten trat unvermittelt und überraschend ein Drehleierspieler auf und gestaltete mit seinem Instrument einen passenden und zugleich witzigen Übergang zum Concerto La pastorella.

Auch für das Cellokonzert in e-Moll haben sich die Musiker etwas Besonderes einfallen lassen: das Solocello spielte zusammen mit einem Continuo aus Cello und Theorbe vom Tutti abgesetzt in der rechten, oberen Ecke des Podiums. Koordinatorisch funktionierte das hervorragend, akustisch allerdings war diese Konstellation im Tonhallesaal etwas ungünstig. Die Theorbe war leider von meinem Platz aus kaum zu vernehmen, doch Solist Nicola Mosca hob sich mit weichem, rundem Ton und durch vermehrtes Vibrato vom Continuo ab.

Mit den beiden Concerti La notte und Il gardellino schlossen sich dieser instrumentalen Abwechslung zwei bekannte „Hits“ an. Das einleitende Largo des ersten begann mit bewusst überdehnten Pausen und virtuosen Solo-Einschüben, die einen immensen Kontrast zum halsbrecherischem Tempo im Presto und dem Schlusssatz bildeten, bei dem man im Auditorium die Töne des Solo-Instruments, geschweige denn die Finger des Solisten, unmöglich mehr alle mitverfolgen konnte. Mit einer kurzen, langsamen Kadenz - das Erwachen des Tages - leitete Steger ohne Unterbrechung über zum Vogelgezwitscher des Distelfinken (Il gardellino), wobei man bei seinem virtuosem Spiel ganze Vogelscharen zu hören glaubte. Nach dem ersten Satz konnte das Publikum nicht mehr an sich halten und unterbrach die Aufführung mit verdientem Szenenapplaus. Als wieder Ruhe eingekehrt war, verleitete das folgende Largo zum Träumen, wurde aber jäh unterbrochen vom abschließenden Allegro in extremem Tempo. Hier zeigte sich, dass die Aufstellung mit sich gegenüberstehenden Violingruppen zwar bessere klangliche Balance und Differenzierung ergibt, zugleich aber auch hohe Ansprüche in der Koordination der Stimmen stellt.

Ein unerfahrener Hörer könnte einwenden, dass Maurice Steger die Melodie in diesen Konzerten durch extreme Tempi und überladenes Verzieren fast unkenntlich machte. Tatsächlich war bei all den wilden Trillern, Tremoli, provokant langen Vorhalten, eingeschobenen Läufen, extremen Staccati bis hin zu perkussivem An- und Überblasen die Melodie oft nur noch zu erahnen. Allerdings wurde deutlich, dass er die Grenzen nur dort auslotete, wo Sätze dem Publikum wohl bekannt waren und er somit bewusst die Gefahr des allzu Bekannten vermeiden konnte. „Zivilisiertes“, klinisch sauberes Spiel steht bei ihm nicht im Vordergrund — vielmehr seine ansteckende Spielfreude, die Fantasie und die Lust, an die Grenzen des technisch Machbaren zu gehen: absolut faszinierend!

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