Auch wenn sich Einiges im Telemann-Bild glücklicherweise gewandelt hat, mäkeln manche noch immer an der Vielschreiberei – und despektierlich gemeinten zwangsläufigen Minderwertigkeit – des Komponisten herum, die nicht in die Vorstellung zu passen scheint, dass dieser Weltenbürger zu Lebzeiten höchstgeschätzter Musiker in Deutschland und darüber hinaus war. Am 14. März 1681 geboren, werden Telemann zu diesem Anlass von seinen Verehrern in der Heimat und an anderen Orten vielfach Ständchen gebracht, so zum Beispiel in Boston, wo die Handel and Haydn Society in aller gelassenen Entgegnung der Kritiker auch die „kleineren“ Werke Telemanns sowohl als historisches Zeugnis seiner Größe an sich als auch als vielfältigen Schatz in sich honorierte. Die intime Kammermusik präsentierten fünf der Ensemble-Principals als „Magie Telemanns“.

Ian Watson, Emi Ferguson, Guy Fishman und Susanna Ogata
© H+H Society

Im Mittelpunkt stand – zusammen mit der Traversflöte – die Violine, die im Deutschland Telemanns mit einem Namen verbunden war: Pisendel, ein lebenslanger Freund des Geburtstagskindes. 1709 wurde Pisendel vom von Telemann geprägten Leipziger Collegium musicum gebucht und man widmete ihm – wie unter anderem Albinoni und Vivaldi – ein eigenes Konzert. In Pisendels Rolle, allerdings nicht mit dem ein größeres Orchester erforderndes Stück, schlüpfte Susanna Ogata, die die zweite Fassung der e-Moll-Sonate für Violine und Continuo der Telemannfeier als Geburtstagsgruß voranstellte. Mit gleichermaßen zupackendem wie feinfühligem Strich gestaltete sie dabei die vier außergewöhnlich reichen und durch die Artikulation ständig belebten Sätze, die in den langsamen Teilen starkem Affekt ausgesetzt waren und in den schnellen Momenten – verbunden mit ihrem technischen Geschick und ihrer künstlerischen Empathie – nicht nur zum wahren Freudenfest für die Geige, sondern eben zum beglückenden Auftakt für dieses leichte Miniaturwunderfest zu Ehren Telemanns geriet.

H+H Konzertmeisterin Aisslinn Nosky
© H+H Society

Ogatas Violin-Kollegin, H+H-Konzertmeisterin Aisslinn Nosky, widmete sich der Es-Dur-Fantasie mit selbiger gebührenden Virtuosität, als sie Telemanns Einfälle für die Geige – süßlich oder rasant verspielt – mit ihrem stets kräftigen Ton zum Klingen brachte. Die persönliche Note des Komponisten zeigte sich besonders im finalen Presto, das vor Überraschung und merkwürdiger, verblüffender Extravaganz strotzte. Es ließen sich zig Beispiele für diesen musikalischen Charakterabdruck in den Kleinoden finden und ein paar Mal habe ich mich ja schon als derartiges Paradebeispiel mit Telemanns Suite zu Gullivers Reisen auseinandersetzen dürfen. Es lag jetzt nicht auf den Pulten der Solisten der Handel and Haydn Society, dennoch hatte ich es im Kopf, als ich von der durch winzige Verschiebungen zu einem komplexen Ganzen geprägten Canonischen Sonate im Programm hörte, da ich davon ausging, sie für die (übliche) Besetzung für zwei Violinen zu vernehmen. Flötistin Emi Ferguson erzählte im Stream vorgeschalteten Gespräch allerdings, dass man die Violine diesmal mit ihrem Instrument zusammentat, um die Effekte durch die andere Tonpalette zu unterstreichen, obwohl jene Suiten immer für zwei gleiche Paare arrangiert sind. So gab es eine weitere Neuerung in der Surprise, die wie eine eigene Züchtung – um im Bild des Blumenfreundes Telemann und damit des obligatorischen Geburtstagsgeschenks zu sprechen – anmutete, verströmte die Traverso der barfüßigen Ferguson einen besonders intensiven blumigen Duft im elanvollen Austausch mit Nosky.

Ebenfalls erwähnt hatte ich in vormaligen Berichten, dass Telemanns Ruhm ihm als ersten Deutschen die Einladung ins Pariser Concert spirituel verschaffte, zu gewichtig seine Fähigkeiten im französischen Stil, aber auch in der Gegenüberstellung oder Verbindung mit dem italienischen Geschmack. 1736 fand sein erster Teil der Quatuors Parisiens mittels Raubkopie seinen Weg von Hamburg nach Paris, dabei sind die späteren Quatuors Nouveaux erst für Paris komponiert, während jener erste Druck lediglich „Quadri“ heißt. Ferguson, Ogata, Guy Fishman am Cello und Cembalist Ian Watson belegten in der organischen, stringenten und mit jeder Überleitung expressiv gesteigerten Wiedergabe des Concertos Nr. 1 in G jedenfalls, dass damaliges Urteil heute genauso richtig ist und die Magie Telemanns zündet, mit Ideen für und in jedem ein gehöriges Maß an Erquickung zu entfachen. Happy Birthday!


Die Vorstellung wurde vom Stream der Handel and Haydn Society rezensiert.

****1