Wär hätte gedacht, dass der Titel der Programmreihe Libera La Musica, die von der Kommune Bagnacavallo nahe Ravenna mit dem dort beheimateten Ensemble Accademia Bizantina veranstaltet wird, dieses Jahr eine solche Bedeutung erlangte. Das am Freiheitsplatz gelegene Teatro Goldoni, auf dessen Bühne im November 2017 Ottavio Dantone, Alessandro Tampieri und Kollegen für die Naive-Edition weitere Streichkonzerte von Antonio Vivaldi aufgenommen hatten, ist wegen der grassierenden Coronapandemie zwangsweise geschlossen. Die Musiker – allerdings selbst ohne den krankheitsbedingt ausfallenden Maestro al Cembalo – trafen sich jetzt dort wieder, um fünf Konzerte von der CD-Session und ein weiteres aus letztjähriger Produktion für die traditionelle Eröffnung der Saison frei per Livestream in die Welt zu schicken.
Eine inspirierende Rundreise zumindest um ganz Europa hatten Vivaldis Werke seinerzeit im 18. Jahrhundert angetreten, unter ihnen wohl auch das Concerto in B-Dur (RV 167), eines der vier Konzerte an diesem Abend für das berüchtigte Ospedale della Pietà in Venedig. Zärtlich, aber bereits mit schwungvoller Leichtigkeit, eröffnete Tiziano Bagnatis Laute, dann Anna Fontanas Cembalo dessen Eingangs-Allegro, das mit den Streichern die dynamischen und akzentuierten Auffahrungen erlebte, die den Stücken und dem Gemüt Flügel verliehen. Sie sind nötig, entführt Vivaldi doch in seinen Konzerten und darin sehr ausgewählten Takten für den langsamen Mittelsatz von der mit krachend-beschwingtem Rhythmus belebten Erde in die Höhe der subtil-lyrisch ariensingenden Engel und zurück. So beispielhaft im hinreißend intimen, sanft und verträumt vorgetragenen Andante, in dem Konzertmeister Tampieris kurze Soli noch ausdrucksstärkere Assoziationen an ein anderes Raumgefüge aufblitzen ließen. Ein spritzig-flottes, typischerweise im Dreier-Takt gesetztes Allegro als venezianischer Odem des Genusses und Florierens folgte, den die Accademia Bizantina erneut innewohnend zum Anlass nahm, staccato betont oder fein ausphrasiert durchzupusten.
Das Violinkonzert RV 273, das zur Sammlung Per il Castello gehört, die Vivaldi kurz vor seinem Tod im damals ebenfalls opernverschlossenen Wien zu verkaufen gedachte, machte allerdings deutlich, dass der Stern des Komponisten nach 1730 tragischerweise sank. Dafür sollte Solist Tampieri den Stern wieder zurechtrückend zum Leuchten bringen, selbst wenn er in den schnellen Sätzen kleinere Eintrübungen untermischte. Weit überwiegend sicher beherrschte der Konzertmeister jedoch die Oktavwechsel auf der E-Saite und die Saitenwechsel in fast dauerhafter Springbogen-Erbauung des Allegro non molto, das crescendiert energische Wallungen in variierten Klangeffekten ausstieß. Schmerzlich-leidenschaftlich, äußerst anrührend und technisch klar offenbarte sich der flüssige Largo-Kontrast, dem sich in beherzter Weise das in drei virtuose Teile gestufte Allegro anschloss, deren zweiter und dritter Solopart mit Doppelgriffen, Arpeggien und noch virtuoserer Motivverwertung beglückte.
Metaphorisch weitaus heller, farblich eigentlich durch die sieben Saiten und den wärmeren Ton der Viola d'amore gedämpfter, wurde es mit Tampieris zweitem Solisteneinsatz, als das Concerto RV 393 richtig funkelte. Tampieri entlockte ihm nicht nur mit den Saitenumbrüchen, sondern durch die flinke, mit Nachdruck gespielte Selbstverständlichkeit in den Figuren eine frische körnige Lebendigkeit, deren Flair durch die Barockgitarre unterstützt wurde. Er zeigte so selbstbewusst, was in dem Schulterinstrument steckt, das Vivaldi am Herzen lag, zwar über dem Herzen sitzt, aber zu Herzen ging. Als definitives Highlight stellte sich das finale Allegro dar, dessen temperamentvolles Furioso einen Wirbelwind-Abschluss bereithielt, der bei aller spöttischen, vermeintlichen Austauschbarkeit Vivaldis Werke überraschte.
Zur Barockgitarre griff Bagnati auch im Streicherkonzert RV 161, welches gleichsam knackig und feurig, mit starken Bass-Akzenten, in von der Harmonie lebenden Largo-Durchführung getragen und weich gestaltet wurde. Mit affekt-gebender Brillanz und abwechslungsreicher Aufwühlung gingen die Musiker zudem das Concerto in c-Moll (RV 118) an, das mit wehender Einfühlsamkeit alle Sinne und Nerven anblinkte. Mit einem meiner verlässlich launesteigernden Lieblingen aus diesen Kurzkonzerten, dem spitzen Concerto RV 138, intonierte das Ensemble noch einen knusprigen Leckerbissen, ein prickelndes, rauschendes Tänzchen, ehe die Kamera nach der Pastorale aus Corellis Weihnachts-Concerto-grosso auf den leeren Freiheitsplatz schwenkte. Das Bild verdeutlichte, wie sehr die Musik der Accademia Bizantina den momentanen Zustand kurzzeitig verdängte. Libera La Musica!