Dass ein Siebenjähriger seinen ersten Instrumentalunterricht erhält, ist nicht außergewöhnlich; eher schon, wenn mit elf Jahren Kompositionsunterricht hinzukommt. So ist es nicht verwunderlich, dass der 1973 in München geborene Jörg Widmann nicht nur anerkannter Soloklarinettist, Kammermusik-Partner und Dirigent wurde, sondern auch ein gefragter Komponist mit inzwischen umfangreichem Werkverzeichnis. Dabei legt er sich in seiner Stilrichtung nicht fest und wurde bei den Donaueschinger Musiktagen 2006 für Zweites Labyrinth genauso akklamiert wie 2007 bei der Mozartwoche in Salzburg, als Pierre Boulez Armonica uraufführte.
Die Bamberger Symphoniker und ihr musikalischer Leiter Jakub Hrůša waren sichtlich und hörbar begeistert, nun die Uraufführung der Orchestrierung des Liederzyklus Das heiße Herz gestalten zu dürfen, die sie – zusammen mit der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung, dem Cleveland- sowie weiteren Orchestern – bei Widmann beauftragt hatten. Über die Jahre hinweg hatte Widmann immer wieder Lieder geschrieben, zu „radikal einfachen und wahren, tief ins Herz treffenden Texten“, wie er sie einmal nannte, und: „extreme Erfahrungen, was Liebe sein kann: Paradies, aber auch Schlangengrube, oder beides zugleich”. Christian Gerhaher und sein Klavierpartner Gerold Huber hatten 2013 eine erste kleinere Sammlung im Wiener Konzerthaus öffentlich vorgestellt. Nun lag eine neue umfangreichere Orchesterfassung auf den Pulten, die mit acht Gesängen und vierzig Minuten veritable symphonische Ausmaße aufwies. Es ist kein euphorisch preisendes Hohelied der Liebe, eher dominieren gebrochene Herzen, enttäuschte Liebhaber, deformierte Verhältnisse. Und es sind Gedichte aus der Sicht der Männer – hätte ein modernes Gedicht einer lebenden Schriftstellerin noch andere Perspektiven geöffnet?
Trotz umfangreichem Streicher-Orchester und vierfacher Besetzung der Bläserpulte, mit Klavier, Akkordeon, Harfen und Schlagwerk ließ Hrůša die Begleitung des Solisten nur zurückhaltend formulieren, nutzte dezent die unterschiedlichsten Klangphänomene, malte das Liebeskaleidoskop von Himmelhochs und Tiefgründigem fein aus, ohne die Wucht des geballten Klangapparats herausbrechen zu lassen. Klabunds „Der arme Kaspar” stand am Anfang: Fragen über Fragen und keine Antworten, auch musikalisch mit Celesta- und Akkordeonklängen und leisen Streichern zurückhaltend, unaufgelöst. Peter Härtlings „Spätes Liebeslied” will Berge versetzen, die Finsternis bunter dichten; ein verrückter Tanz zwischen Tuba und Posaunen, Geschnarre tiefer Holzbläser; zu spät ehe der Welt der Atem vergeht? Dann ging es wieder zu Klabund und seinem herrlich romantischen „Liebeslied”: Und vielleicht gerade deshalb gibt Widmann das Lied allein dem Bariton und seinem Klavierbegleiter – wunderbar einfühlsam hier Andreas Weimer – was zu einem stillen Höhepunkt wurde.
Grell dagegen „Hab ein Ringlein am Finger” aus von Arnims Wunderhorn-Liedern (Mahler schrieb „Wenn mein Schatz Hochzeit macht” nach dem ersten Teil dieses Gedichts). Schrilles Blech und ärgerliche Wut über den Verlust, in sechzig Sekunden herausgeschimpft. Dann Klabund und seine „Eifersucht”: Jaroschin leidet am Verlust seiner Geliebten, bemitleidet sich, setzt in Gedanken – und im Orchester – den Pistolenschuss „dem Weibe in die Brust“. Gerhaher war ein überzeugender und untertänigster Schwejk, der sich an seiner Eifersucht berauschte.