Wer neben François Couperins Leçons de Ténèbres pour le Mercredi Saint und dann vor allem den allgegenwärtigen, rituellen Bachpassionen eine seltenere Einstimmung auf die Leidensstunde Jesu zu hören gedenken wünscht, der wird recht regelmäßig bei der Kölner Philharmonie fündig. Nachdem zum Beispiel vor drei Jahren Johann Adolf Hasses Karfreitagsoratorium Sanctus Petrus et Sancta Maria Magdalena zum traditionellen Tenebrae-Konzert des Hauses erklungen war, standen diesmal – nach letztjährigem Charpentier – die zwar diskografisch nicht so spärlich, aber hierzulande live eher zurückhaltend aufgelegten, fantastischen sechs Lamentationes Jeremiae Prophetae pro Hebdomada Sancta Jan Dismas Zelenkas auf dem Programm. Interpreten dafür waren das Ensemble Diderot unter Leiter Johannes Pramsohler und die drei Solisten Mathilde Ortscheidt, Nicholas Scott und Felix Kemp.

Ensemble Diderot © Edouard Brane
Ensemble Diderot
© Edouard Brane

Zelenka hatte Jeremias‘ Klagelieder, die neben selbstverständlich klassischen Tuttistreichern und Continuo Obligati für Oboen, Flöten und Celli, Violine, Chalumeau und Fagott beinhalten, für die Karwochentage von Gründonnerstag bis Ostersamstag zum neuen, noch versteckteren katholischen Matutin-Laudes-Hofgottesdienst in Dresden 1722 komponiert und dabei weiter seinem unverkennbaren böhmischen Temperament, Stil und hinreißenden Idiom gefrönt. In je zwei Lamentationen pro Tag des Triduums für einen Solisten mit Begleitung effizient wie – auch damals im größeren Rahmen mit Responsorien und auf Verlangen des bereits katholisch verheirateten Kurprinzen ausgelassenem Miserere – abwechslungsreich konzipiert, zog Zelenka die Lektionen nach gewissem Usus schließlich je um einen Tag vor, woraus sich die abweichende Beschriftung der Sätze ergibt.

Sie beinhalten zwei elementare Klangwirkungen, die den genialen Kirchenmusiker Zelenka generell auszeichnen: eingängig-gebündelte Dramatik und ansprechende Kontemplation. Diese brachte das Ensemble Diderot mit gekonntem, meisterhaftem Ausdruck zur Geltung, der sich in stilistisch und dynamisch sowie in Phrasierung und speziell natürlich durch Bogenbetonung abgestimmter Innigkeit kundtat. Dicht und licht entfalteten sich so die Farben, Harmonien und melodischen Ansprachen und Reflexionen in den Instrumenten, bei denen das Ensemble Diderot allerdings auf die Besonderheit des milden, heimeligen Chalumeau in finaler, von Pramsohlers rein-stringentem Geigensolo angeführter Lamentatio verzichete. An seiner Stelle spielte Jon Olaberria die Partie eben auf der – freilich klar und warm scheinenden – Barockoboe, hätte zu Zelenkas Zeiten genau der erste Oboist dann zum Chalumeau gegriffen.

Das noch keine größere Klage meinerseits, sollte jene affektvolle Zweispurigkeit Zelenkas Tonsprache bei den Solisten jedoch leider zu einem Gefälle zwischen Instrumentalem und Vokalem führen. Dort immerhin konsequent alle drei in etwas vibrato-flattrigerer, gleichwohl anerkennend bewusst weicher und ohne forcierten Druck ausgeübter Artikulation, bot sich im zugegebenermaßen durchaus eigenwilligen sowie nicht leicht umsetzbaren Verbund aus Rezitativischem und Ariosem im Gesamteindruck ein größeres Bild aus Eindimensionalität und Undefinierterem, Losgelösterem von instrumentaler Überzeugung wie textlicher Möglichkeit. Zudem litten einige Einsätze von Tenor Scott und vor allem Bariton Kemp an Intonation, während jene von Mezzo Ortscheidt zwar farblich einnehmender, aber deklamatorisch unsauberer und bei Lamentatio II in der Balance zum Orchester etwas schwieriger gerieten.

Dabei war insbesondere bei Kemp und Scott – beim einen durch Verzicht auf das Notenpult, beim anderen sonst in äußerlich freierem Habitus – die differenziertere Anlage und damit lebendigere Ausdeutung bei allem Reserviertsein spürbar. Während sie beim Bariton in Lamentatio IV immerhin mit farb- und betonungsbedachteren Passagen und geglückten Vokalisen hervortrat, konnte der in höherer Lage vor kleinere Herausforderungen gestellte Tenor in vorletztem Arioso der Lamentatio V mit besser gelegener Mittel- bis leicht tieferer Tessitura entschieden Boden gut machen. Auch Ortscheidt vermochte in Lamentatio VI, ihre edlen Töne endlich in gelungenerer, stilistisch klangintensiverer Weise zu entfalten.

Das Konzert gab gleichzeitig einen Ausblick auf das FEL!X-Festival der Philharmonie Ende August, das diesmal Böhmen und seinen Verbindungen gewidmet ist. Dann ist – und das darf gerne noch verstärkter über eine Saison sein – mehr Zelenka (u.a. mit einem Auszug aus den Responsoria 1723) und böhmischer Barock zu hören.

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