Wie Sie an voriger Kantate merken und bei noch kommender feststellen werden, bin ich gerade in der Stimmung, Ihnen großbesetzte weltliche Genrestücke Bachs vorzustellen und damit manchmal zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Apropos Stimmung: sie bestimmt auch die Musik auf einer Party – das ist heute nicht anders als im Barock. Zur Einweihungsfete von Johann Christian von Hennicke am 28. September 1737 bei Bezug des im südlich von Leipzig gelegenen Schlosses Wiederau legte kein geringerer als Bach auf, und zwar die Huldigungsmusik Angenehmes Wiederau, BWV30a. Huldigung deshalb, weil Hennicke, ein durchaus schillernder bürgerlicher Aufsteiger in den sächsischen Adel, als Kommerzien- und Bergrat zum Ritter ernannt, später als Geheimer Rat und Vizekammerpräsident, dann zum Konferenzminister in höchste, engere Kreise des kursächsischen Machtzirkels im Stand eines Freiherrn und Reichsgrafen erhoben wurde. Doppelschlag aus dem Grund, dass Bach und sein Texter Picander die Kantate im Zuge der Kontrafaktur zur geistlichen Figuralmusik mit dem Titel Freue dich, erlöste Schar, BWV30, für das Johannisfest 1738 umarbeiteten.
Dabei ließen sie – neben der selbstverständlichen Textänderung, wobei dort durch eben tänzerische Musikkonservierung viele Übereinstimmungen an Schlagworten und generell huldigende Anknüpfungspunkte zu finden sind – nur die letzte Arie und anschließendes Rezitativ, besetzungstechnisch Trompeten und Pauken weg, wohingegen ein Choral für die Zweiteilung hinzugefügt wurde. In der Ausgangskantate ordnet sich schließlich alles schon der Freude über die Inbesitznahme des Anwesens unter, zu dem auch noch ein zu bewirtschaftendes Gut gehörte. Die gewünschten Gaben und Segnungen, wie Reichtum, lebenslangen Bestand und Fruchtbarkeit, überbringen bei Bach vier Allegorien, die sich nicht wetteifernd gegenüberstehen, sondern – das zeigt schon das erste Rezitativ nach dem Eröffnungschor – gemeinsam einziehen. Es sind das Schicksal in der Stimmlage des Basses, das Glück in derjenigen des Alts, der Zeit mit der Stimme des Soprans und der sich durch das Gebiet schlängelnde Fluss (Weiße) Elster, der vom Tenor seine übersinnliche Fähigkeit zur deutschen Mitteilungskunst bekommt.
Das Schicksal meldet sich als begrifflich übergeordnete Bedingung der anderen dabei arienpraktisch zweimal zu Wort. Zunächst in erster Arie mit Streichern und Continuo, dann in zweiter mit obligaten Oboen, wobei die ersten Geigen die prägnante Melodieführung vorzeichnen. Das tun sie auch in der Alt-Arie, die Traversflöten ergänzen colla parte, während die restlichen Streicher Pizzicati in die schreitende, pochende, einlebende und anklopfende Welt in „Hennicks-Ruhe“ zu Wiederau setzen. Bei der Sopranarie „Eilt ihr Stunden“ schweigen neben den Bläsern auch die Bratschen, doch kommen die Oboi d'amore in der Tenorarie zum Vorschein, um die angesprochene Fruchtbarkeit und flusssenkende Lage (in tröpfelnder Elementaristik) zu symbolisieren. Die Kantate schließt so, wie sie begonnen hat: mit Angenehmes Wiederau und dem Tutti mit Trompeten und Pauken, einer standesgemäßen und eingängigen Einweihungsmusik. Doch lange zugebracht haben dürfte Bach beim Bankett nach dem Konzert nicht. Eher ging es sogar zügig zurück nach Leipzig, stand am nächsten Morgen zur Kirchen-Messe während der Handels-Messe die Michaeliskantate auf der Tagesordnung. Der damals übliche „DJ“- und Kantorstress eben.