1,980,000 Euro. Zu Beginn der Vorstellung Bachs Kantate O Ewigkeit, du Donnerwort, BWV20, ein Wert. Es ist der von der Basler Paul-Sacher-Stiftung ausgewiesene Rechnungsbetrag für das Partiturautograph, den das Bach-Archiv Leipzig 2016 mit Bundes-, weiterer öffentlicher Hilfe und Privatengagement bezahlte, um Bachs Handschrift wieder gegenüber der Thomaskirche mit den originalen Einzelstimmen zusammenzufügen. 100 Jahre zuvor war das Schriftstück von Berlin das erste Mal zurück nach Leipzig gekommen, als Henri Hinrichsen dieses für den von ihm inhabergeführten berühmten Musikverlag C.F. Peters erworben hatte. Dessen Sohn nahm sie als glücklicherweise behüteten Schatz mit nach New York, wohin die Familie aufgrund der NS-Verbrechen emigriert war, und ließ sie später an Sacher versteigern. Bisher stellt diese notentechnische, historische, symbolische Wiedervereinigung insofern einen Einzelfall dar, den kompletten Vokal- und Instrumentalsatz sowie die Komponistenpartitur von 1724 beisammen zu haben. 

Jener Kantate, die Bach am 11. Juni des Jahres uraufführte; und zwar – nach gleichnamigem Werk bereits beziehungsweise erst im November 1723 (BWV60) – als Einstieg in die zweite Hälfte des Kirchenjahres und Auftakt seines sogenannten ersten Choralkantatenjahrgangs mit der traditionell Leipziger Verfahrensweise der Einarbeitung des exakten lutherischen Liedes für den jeweiligen Anlass in den Chorpart. Grundlage ist Johann Rists Choral über das im Lukas-Evangelium festgehaltene Jesu-Gleichnis vom reichen Mann und dem leprakranken, bettelnden Lazarus. Hat der Reiche dem Armen die „Abfälle“ seiner Kost im Diesseits verwehrt, bleibt dem verlangenden Betuchten die Todesqual im Jenseits nicht erspart, während der Aussätzige seine geheilt in der Heimat im Schoß Abrahams findet. Theologisch dreht sich somit alles um die Gerechtigkeit und Macht Gottes, das weltliche Leben bei sitten-, gebots- und bergpredigtwidrigem Verhalten in der Ewigkeit zu bestrafen. Dies symbolisiert Bach im Eingangschor mit Ihnen mittlerweile vielleicht schon recht bekannt vorkommender Methodik: der Vertonung der strafenden Herrschergerichtsbarkeit mit „durch die Seele bohrendem Schwert“ einer französischer Ouvertüre und zugtrompetlicher, also schreckensmusikalischer Gerichtsposaune, wobei das Blech den Choral unterstützt. Und den langen Tönen für die Ewigkeit, die sich im schnellen Mittelpart teils zu einer hineinreißenden Erkenntnis im Jetzt fugiert-fugatisch verdichten. 

Das greift im individuellen Durchleben der weitere Kantatenverlauf für den vorprediglichen Gottesdienst mit Rezitativ und Arie des Tenors auf. „O Ewigkeit, du machst mir bange“ hält im A-Teil an den zählwertorientierten kleinen Ewigkeiten der Verdammnis fest, während die Stimme im B-Teil die „brennenden Flammen“ der Hölle wüten lässt. Auch der Bass haut in diese Kerbe, erst mit dem Rezitativ zur Vergewisserung der Strafe zu jeder und nach dem Tod eben für längstmögliche Zeit. Dann mit irgendwie tänzerischer, heute argwöhnisch fast sadistisch-absurder, kirchensentimental sowie aus anderer Ansprache und liebendem Bild des Höchsten in Ansehung des Schoßes aus dem Gleichnis allerdings verständlich wohliger Arie „Gott ist gerecht in seinen Werken“ in der instrumentalen Besetzung von drei Oboen und Continuo. Deshalb muss zudem der Alt in seinem Beitrag „O Mensch, errette deine Seele“ mit den Streichern ebenfalls den Hörern ins Gewissen rufen, dieses ein wenig zu erleichtern, indem sie ihr Wirken bedenken und den Sünden ein Ende bereiten. Schließlich gibt es kein Entkommen, wie der erste Choral „Solang ein Gott im Himmel lebt“ markant deutlich macht.

Mit heute gar – Bach stets zuzutrauendem – ironischem, doch jedenfalls wirkmächtigem Einfall knüpft im nachprediglichen Gottesdienst der von der Trompete und Streichern reißerisch-gewetzt unterlegte Bass-Aufruf „Wacht auf“ daran an, mahnt er, nicht länger über die Sünden zu schlafen. Nach dem Alt-Rezitativ über das Ablegen dieser versucht das unwirklich, aber drängend anmutende Alt-Tenor-Duett die Einsicht herbeizuflehen, selbst wenn der klammerhafte Schlusschoral – ja, auch mit an sich klammerndem Versprechen des „Freudenzelts“ im Himmel – das Mantra der realistischen Angst und Pein bei den schwierigen Verhältnissen im irdischen Leben nochmals einfließen lässt.