Anlässlich des Europäischen Tages der Alten Musik, der am 21. März gefeiert wird, begibt sich Bachtrack in diesem Frühjahr auf Grand Tour durch Europa und die Welt, um einige der wichtigsten Künstler und Dirigenten der historischen Aufführungspraxis zu treffen. Als erstes stellt sich Nicholas Kraemer, Erster Gastdirigent der Musik des Barock in Chicago, unseren Fragen.

Die Epoche, die wir heute als Barock kennen, war der Ursprung der Grand Tour, einer Reise durch Europa, auf der es Ziel des Reisenden war, neue Kulturen kennenzulernen und seine Ausbildung zu vervollständigen. Heutzutage sind es historische Ensembles – und das Publikum – die ausgedehnte Reisen unternehmen und Menschen die Gelegenheit geben, Musik zu hören, die teils jahrhundertelang in Vergessenheit geraten war. Wie erklären Sie sich die Beliebtheit barocker Musik?

Der Musik des Barock wurde neues Leben eingehaucht, als sich in den 1970er Jahren historische Ensembles bildeten, die sie mit Lebhaftigkeit, Leichtigkeit und transparenten Textur spielten. Das hat sich wiederum auf Ensembles übertragen, die beispielsweise Bach auf modernen Instrumenten spielen, und selbst an Symphonieorchester stellt man eine Erwartung einer „aufgeklärten“ Barockinterpretation.

Der Status von Barockmusik in der modernen Gesellschaft ist schwer zu definieren. Einige Kinder beispielsweise lernen von Anfang an, auf einem Cembalo zu spielen. Ist Barock noch immer alt?

Kinder lernen auf dem Cembalo? Das ist mir neu. Ich glaube, Kinder können eher eine Verbindung zu Barockmusik als zu zeitgenössischer klassischer Musik herstellen – es sei denn, es gibt Crossover-Elemente. Alt? Wenn das negativ konnotiert ist, dann nicht. Vielleicht spiegelt sich die Spezialisierung von Ensembles auf verschiedene musikalische Epochen in ihrem Publikum. Man kann zum Beispiel entweder Wagner- oder Händelanhänger sein, aber normalerweise ist man nicht beides.

In den letzten Jahrzehnten wurde viel zum Erbe der Barockmusik geforscht, sowohl bezüglich der Aufführungspraxis als auch der Soziologie der Musik. Welche Entdeckungen fanden Sie am aufregendsten? Was gilt es noch zu erforschen?

Was ich am aufregendsten finde ist, dass diese Musik in interessanten und vielseitigen Ansätzen konstant „wiederentdeckt“ wird. Ich persönlich muss keine obskuren Opern, Orchester- und Kammermusik des Barock ausgraben, wenn die Musik, die wir bereits kennen, so gut ist und auf erfrischende, originelle Art immer wieder neu interpretiert wird. Bachs verlorene Kantaten gilt es noch zu entdecken, aber ich habe das Gefühl, dass die wirklich und endgültig verloren sind.

Die Geschichte scheint eine unerschöpfliche Inspirationsquelle zu sein; historisch informierte Aufführungen werden nun auch von neuerem Repertoire wie der Musik des 19. Jahrhunderts gegeben. Wie denken Sie über diesen neuen Trend? Wo wird er enden?

Das ist in Ordnung, aber nicht zwingend interessanter oder hat größere Berechtigung als „moderne“ Interpretationen. Ich denke, wir lernen aus diesen frühen Quellen sehr viel, aber mich stört es nicht, ob sie auf „originalen“ oder „modernen“ Instrumenten gespielt werden.

Zurück zum Thema der Grand Tour – was vermissen Sie am meisten, wenn Sie auf Tournee gehen? Wo liegen die Schwierigkeiten, wenn man aus dem Koffer lebt?

Ich gehe nur sehr selten auf Konzertreise – meist nur wenige Konzerte an einem Ort (fünf Messias' nach einander ist keine Seltenheit mehr).

Ergibt sich für Sie die Gelegenheit, die Städte zu erkunden, in die Sie reisen? Was war ihr denkwürdigstes Tourneeziel?

Ja, definitiv. Besonders, wenn man sich ein Rad beschafft. Rovaniemi (die Hauptstadt Lapplands) war wahrscheinlich mein denkwürdigstes Reiseziel in den letzten Jahren, aber ich liebe Chicago.



Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.