Ob an der Wiener Staatsoper, der Bayerischen Staatsoper oder der Royal Opera in London: Rachel Willis-Sørensen ist von den Bühnen der großen Opernhäuser nicht mehr wegzudenken. Dass sie ihr Weg in diese Richtung führen würde, sei schon als Kind ihr Wunsch gewesen, denn „ich liebe die Musik schon seit meiner Geburt! Als ich mit ungefähr fünf Jahren entdeckt habe, dass ich eine schöne Stimme habe, habe ich meiner Mutter gesagt, dass ich Sängerin bin. Aber damals wollte ich noch, dass das mein Geheimnis bleibt. Ich fand es unfair, dass meine Mutter immer erzählt hat ‚Rachel singt‘. Später wollte ich Popsängerin werden, aber als man mir gesagt hat, dass ich vielleicht Oper singen meine Stimme dafür gut geeignet sein könnte, war das für mein Ego natürlich toll. Und als ich mich mit der Musik auseinandergesetzt habe, fand ich sie so vielseitig und emotional, und plötzlich klang alles andere für mich etwas trivial.“
Ein weiterer Aspekt, der sie beeindruckt habe, seien die „großen menschlichen Geschichten, die großen Gefühle“ der Kunstform gewesen, sodass der Wunsch entstand, Opernsängerin zu werden. Neben der Begeisterung für die Musik und die erzählten Geschichten, seien es auch andere Aspekte, die sie an diesem Beruf so schätze, führt Willis-Sørensen voll Enthusiasmus weiter aus: „Ich darf viele Sprachen nutzen, ich darf viele Menschen von überall auf der Welt kennenlernen, ich darf reisen, das bereitet mir jede Menge Freude.“
Als junge Sängerin sei es allerdings nicht immer leicht gewesen, in diesem Business zu bestehen, da viele Ratschläge eher geschadet als genützt hätten. Dabei stand keineswegs nur die Stimme im Fokus, ihr wurde etwa nahegelegt, ihre Persönlichkeit zu verändern und abzunehmen, um besser anzukommen. Der entscheidenden Moment sei schließlich aber gewesen, „als ich mir bewusst gemacht habe, dass man nicht allen gefallen kann. Du musst das machen, was schon in dir ist. Du musst das sagen, was in deinem Herzen ist, anstatt dir zu überlegen, was andere hören wollen. Als ich junges Ensemblemitglied war, dachte ich, ich muss alles verändern an mir. Aber genau das tötet die Kunst in einem selbst. Es ist so wichtig, man selbst zu sein! Und ich erinnere mich genau an den Tag, an dem ich diese Entscheidung getroffen habe, denn das hat alles verändert. Vorher wurde mir oft gesagt ‚Du hast so viel Potenzial‘ und ich habe mich gefragt, wann ich dieses Potenzial endlich erreichen würde. Aber sobald ich beschlossen hatte, auf mein Gefühl zu hören und ich selbst zu sein, kam der Erfolg.“
Die Unterstützung, die sie selbst früher oft vermisst hat, versucht Willis-Sørensen der nächsten Generation an Sängerinnen und Sängern deswegen nun auch via Social Media weiterzugeben. „Ich habe das Gefühl, ich bin viele falsche Wege gegangen, bis ich festgestellt habe, was für mich richtig ist. Ich wollte deswegen eine Ressource anbieten für junge Sänger, die nicht existiert hat, als ich selbst in der Situation war.“ Es sei ihr dabei einerseits wichtig, der nächsten Generation zu vermitteln, an sich zu glauben und andererseits konkrete Tipps oder Übungen vorzustellen, die dabei helfen können, stimmliche Herausforderungen zu meistern. Instagram sei dafür ein idealer Rahmen, denn „sobald ich begonnen habe, meine Gedanken rund ums Singen zu teilen, hat sich eine große und unterstützende Gruppe von Menschen gefunden und ich hatte das Gefühl, dass es in diesem Bereich wirklich eine Lücke gab, etwas, das junge Sänger vorher nirgends fanden. Und mittlerweile teilen bereits so viele andere ihre Übungen oder Tipps; und ich selbst lerne auch von anderen Sängern und probiere aus, was für andere funktioniert!“

Aber auch als erfahrene Sängerin gibt es für Rachel Willis-Sørensen immer wieder noch spannendes Neuland zu betreten, etwa in Form von CD-Aufnahmen, die „eine völlig andere Art auf der Bühne zu stehen“ bedeuten. Bei ihrem ersten Solo-Album, das 2022 erschienen ist, sei ihr außerdem bewusst geworden, was für eine Herausforderung die Logistik dahinter bedeutet: „Man muss ein Orchester finden und einen Dirigenten, es müssen alle an den gleichen Tagen Zeit haben...“ Aber nicht nur diese Hürden mussten genommen werden, erzählt Willis-Sørensen lachend: „Die erste Liste von Repertoire, die ich zusammengestellt habe, mit Dingen, die ich gerne aufnehmen würde, war drei Stunden lang, denn ich wollte einfach alles machen!“ Letztlich fiel die Wahl dann auf einige „Ausschnitte aus Opern, die ich auch schon auf der Bühne gesungen habe.“
Die zweite CD hingegen war „eigentlich ein Zufall, denn ich sollte bei einem Konzert mit dem Gewandhausorchester singen und das wäre wegen Covid abgesagt worden; wir haben das Programm dann ohne Publikum gespielt und aufgenommen. Normalerweise haben das Gewandhausorchester und Andris Nelsons nicht einfach so Zeit für eine Aufnahme, weil sie einen vollen Terminkalender haben. Es ist schon eine Ehre, für ein Konzert eingeladen zu werden, aber dass sie Zeit haben, mit mir diese CD zu machen, war als ob ein Wunder geschehen ist!“ Weiter ins Schwärmen kommt die Sopranistin, als sie über die Programmauswahl – Richard Strauss‘ Vier letzte Lieder und das Finale der Oper Capriccio – dieses vor Kurzem erschienenen Albums spricht: „Ich singe Strauss unheimlich gerne; er war eine unglaublich interessante Person und hat einfach wahnsinnig tolle Musik komponiert!“. Insbesondere die Vier letzten Lieder seien „so schön und beeindruckend; aber sie haben auch eine große Reife. Ich habe das Gefühl, er hat seine ganze Weisheit hineingegossen – musikalisch und emotional! Zum Beispiel würde man bei Frühling, also bei der Jugend, instinktiv eher an Unbeschwertheit denken, aber Strauss hat das sehr ängstlich und aufgewühlt komponiert. Man hätte es sich vielleicht eigentlich umgekehrt vorgestellt, nämlich dass der Tod bei Im Abendrot mit Angst behaftet ist, aber stattdessen ist da eine große Hingabe und Akzeptanz in der Musik, was sehr berührend ist.“
Zwei weitere CDs seien noch in Planung, verrät Willis-Sørensen, allerdings gebe es noch keine konkreten Pläne bezüglich des Repertoires. Aktuell liegt ihr Fokus ohnehin mehr auf den bevorstehenden Bühnenauftritten, zum Zeitpunkt unseres Gesprächs im Juni ist sie gerade für eine Produktion von Verdis Otello in Los Angeles. Dabei sei es besonders spannend, so erzählt sie, an der Rolle der Desdemona wieder „völlig neue Facetten und Phrasen zu entdecken, die ich plötzlich besser verstehe.“ Dabei beeinflussen natürlich auch die verschiedenen Inszenierungen die Interpretation, denn „die erste Inszenierung, die ich gemacht habe, war extrem traditionell und ich habe Desdemona als ziemlich passiv, unschuldig und unerfahren gesehen; in der zweiten Inszenierung war sie sehr erfahren, musste einen schwarzen Business-Anzug tragen. Jetzt in meiner dritten Produktion finde ich gewissermaßen beides in ihr: eine Stärke, aber auch die weiche Seite.“
Nach der Otello-Vorstellungsserie steht für Rachel Willis-Sørensen mit Il trovatore am Royal Opera House in London eine weitere Oper von Verdi im Terminplan; in der nächsten Saison wird sie dann besonders oft in Österreich und Deutschland – an der Wiener und der Bayerischen Staatsoper – zu hören sein. An Auftritten in deutschsprachigen Ländern schätze sie vor allem „die Freiheit. Man hat hier nicht das Gefühl, zu sterben, wenn etwas schiefgeht. Zum Beispiel hat man bei einer Wiederaufnahme manchmal nur zwei Tage Zeit, die Inszenierung zu lernen und dann geht man auf die Bühne und singt einfach. Diese Erfahrung macht einen besser! Als ich jung war und in den USA gesungen habe, wurde mir oft gesagt ‚Es muss alles perfekt sein!‘, aber dieser Druck schadet der Kunst. In Österreich, der Schweiz und Deutschland ist es anders, weil jeden Abend an die 60 Opernhäuser spielen – es ist flächenmäßig kein großes Gebiet, aber in diesen Ländern werden ständig und überall Opern aufgeführt und das nimmt ein bisschen den Druck weg.“
Etwas nervöser macht die Sopranistin hingegen ein Haus- und Rollendebüt, das in der nächsten Saison ansteht: In Paris wird sie erstmals Antonia in Les Contes d’Hoffmann singen; eine Produktion, auf die sie sich besonders freut, weil „das eine der ersten Opern war, die ich in meinem Leben live gesehen habe, außerdem finde ich die Idee so berührend, dass man vom Singen stirbt; und Antonia singt trotzdem, weil sie es so liebt. Ich glaube, ich wäre auch so... Wenn das Singen tödlich wäre, müsste ich sterben!“ Überhaupt ist Rachel Willis-Sørensen als Sopran in ihrem Beruf quasi permanent mit dem Tod konfrontiert, fast jede ihrer Rollen stirbt am Ende den Bühnentod. Als Optimistin kann sie jedoch auch „der ständigen Sterberei“ viel Positives abgewinnen: „Ich finde es eigentlich ganz gesund, mich mit solchen Gedanken auseinanderzusetzen. Dadurch wird mir bewusst, ich darf noch weiterleben; ich darf noch atmen, frei sein, das Leben genießen!”
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