Mit „Protest“ überschreibt das Ensemble Resonanz ihren ersten Konzertabend 2019 in der Elbphilharmonie. Im eisigen Winter 1941 schrieb Arthur Honegger seine Zweite Symphonie. Im Angesicht der kriegtreibenden Welt, der Zerstörung und die Besetzung von Paris durch die Deutschen, waren Honeggers Eindrücke vor allem die ganz persönlichen: das Frieren im eigenen Atelier.
Die beklemmende Stimmung spiegelt seine Musik wider. Gleich zu Beginn verliert man sich in der Schönheit der Melancholie. Das repetitive, kurze Thema, das zunächst solistisch (Carrie Robinson) und später von allen Bratschen und den ganzen Streichern wiederholt wird, kreist um sich selbst. Honegger beharrt auf seinem Thema, lässt es bis zur Meditation darüber kommen, fügt dissonant eindringliche Streicherklänge hinzu, kommt aber nicht von dem Eigenbrötlerischen weg. Das Ensemble Resonanz bildete eine sagenhafte Einheit. Man merkte ihnen an, dass sie gerne zusammen musizieren. Aufmerksam folgten sie Andris Pogas Dirigat, der die Transparenz des Saales ausnutzte.
Auch im zweiten Satz schreitet der Puls fort. Es scheint wie ein Fortschreiten in der Zeit, die unaufhaltbar ist. Von zart bist düster mit herrlich weinendem Solocello (Thomas Kaufmann) wird die Musik von dahinschleppenden Seufzern geprägt. Erst im letzten Satz bricht die Musik in eine andere Richtung auf. Hoffnung scheint durch die Melancholie. Trompetenklänge setzen sich mit strahlend rundem Ton von erhöhter Position kommend auf die Streicher. Der Aufbruch aus der Kälte, dem Krieg, bleibt ein gewaltsamer, die Melancholie im Hintergrund, aber die neue Zeit kommt.
Aus einer ganz anderen Perspektive beschäftigt sich Schostakowitsch mit den existenziellen Sorgen des Lebens. Seine 14. Symphonie schreibt er in seiner körperlich dunkelsten Zeit. Nachdem er endlich anerkannt ist in seiner Heimat, treten erste Alterserscheinungen auf. Er beschäftigt sich auch poetisch mit dem Tod, liest Gedichte. Und so legt er seiner Symphonie für Kammerorchester, Sopran und Bass diese Texte zugrunde, die über den Tod nachdenken, über den Krieg, verlorene Männer und Trauer. „Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns“, schrieb Rainer Maria Rilke. Dieser Text bildet das Ende. Keine Erlösung, keine Hoffnung, nur Schostakowitschs Wunsch, dass sich Menschen schon in jungen Jahren mit ihrer Endlichkeit auseinandersetzen, dann “würden sie weniger Dummheiten machen“.
Matthias Goerne sang schöne Linien, stimmlich aber lag die Basspartie dem Bariton nicht sonderlich. In der Tiefe blieb er einfarbig mit leichten dynamischen Unterschieden, seine Aussprache flach, die Stimme sonor und gedeckelt, aber gut intoniert und warm.
Dies fiel vor allem im Kontrast zur Sopranistin Asmik Grigorian auf. Die Litauerin schaffte es in jedem Moment, perfekte Technik mit unglaublichem Ausdruck zu verbinden. Lorcas „Malagueña“ erzählt vom ein- und ausgehenden Tod, von dem Grigorian mit unglaublich klarer Stimme erzählte. In jeder Stimmlage war sie souverän, erzeugte Gänsehaut mit ihrer strahlenden Höhe. Ausbrüche wechselten sich mit zauberhaft zarten Passagen ab und auch gemeinsam mit dem Solocello über Apollinaries „Der Selbstmörder“ brach sie einem bis zum Weinen wollen das Herz.
Den sängerischen Höhepunkt bildete das ironisch schmerzhafte Gedicht von Apollinaire „Sehen Sie, Madame“. In eruptiven Ausrufen auf unterschiedlichsten Tonhöhen seufzte und sang Grigorian von der Trauer einer jungen Frau, die ihr Herz, ihren Mann verloren hat.
Geprägt von musikalisch irren Totentänzen aus reiner Rhythmik bis hin zu lyrisch wunderschönen Momenten spielte das Ensemble Resonanz unglaublich präzise und präsent. Es begleitete die Sänger, tat sich aber auch solistisch hervor.
Die Symphonie endet mit zwei Texten von Rainer Maria Rilke „Der Tod des Dichters“ und „Schlussstück“. Die Musik und der Gesang wurden so intensiv, dass einem der Atem stockte und auch genauso hört es auf: Sudden Death. So wie es immer ist mit dem Tod. Selbst vorbereitet kommt er plötzlich.