Wie man Erlösung von Übel aller Art erlangt, beschäftigt die Menschheit seit ihren frühesten Tagen. Eine erste Antwort darauf war der Opfertod von Tieren oder sogar Menschen. Später, im Christentum, hieß diese Antwort Liebe – wenngleich diese auch nicht ohne Opfer auskam. Seither wurde das Thema immer wieder variiert, von der bekannten Sublimierung von Liebe und Tod im Liebestod bis hin zu Sex als Weg zur Erlösung im preisgekrönten Neunzigerjahre-Film Breaking the Waves (und man errät es wohl: auch dabei wird gestorben).
Der Mittdreißiger Richard Strauß war (zum Glück) noch nicht so weit wie Lars von Trier und als Opernkomponist im Geiste Richard Wagners bereits mit seinem Erstling Guntram beim Münchner Publikum gescheitert, als er für den Zweitversuch Feuersnot, ein „Singgedicht in einem Akt“, Wagners Ideen verehrend und parodistisch zugleich auf- und von Triers Erlösung im kleinen Tod vorwegnahm: Im mittelalterlichen München wird Walpurgisnacht gefeiert und die christliche Tugend der Keuschheit hat Pause: Diemut, vom Zauberer Kunrad öffentlich geküsst, ist zunächst entsetzt, tut ihm dann schön, gibt ihm aber schließlich wortwörtlich einen Korb. Dafür wird gleich die ganze Stadt bestraft, denn Kunrad lässt Licht und Feuer ausgehen. Die Tugendhafte hat somit gesündigt und wird öffentlich gedrängt, Kunrads Begehren in ihrer Kammer nachzugeben. Das folgende Liebesspiel, untermalt von ein paar sakralen, etlichen operettenhaften Elementen und viel Rosenkavalier, entzündet alle Feuer erneut.
Neben einer interessanten Vorschau auf sein späteres Opernschaffen, insbesondere hinsichtlich Phrasierung und Klangfarben, zeigt Strauss in Feuersnot ein buntes Potpourri an Wagner-Themen, welche von den Volksszenen aus den Meistersingern bis hin zu Leitmotiven aus dem Ring reichen. Dabei thematisiert Strauss auch sein Verhältnis zum Meister, und das alles in Ernst von Wolzogens spannender Mischung aus Münchner Dialekt und Wagner-Deutsch. Die Sprache mag jedoch vielleicht ein Grund sein, weshalb sich das Werk nach der erfolgreichen Dresdener Premiere 1901 nirgendwo durchgesetzt hat, ein anderer das Moralverständnis der Zeit, ein weiterer vielleicht die der starke Wagner-Bezug (Wagner-Kenner sind beim Genuss des Werkes eindeutig im Vorteil). Für die modernen Liebhaber beider Komponisten ist Feuersnot allerdings eine Schatzkiste, in der ein köstlicher Witz auf den anderen folgt.
Die musikalische Leitung dieses Werks an der Volksoper lag in den Händen von Haus-Debütant Hans Graf. Seine Aufstellung der Musizierenden (das Orchester samt Dirigent im Bühnenhintergrund, die Solisten davor, die Chöre teils seitlich, teils vor den Solisten) schien für das anspruchsvolle Vorhaben zwar nicht ideal, funktionierte aber tadellos, denn auch ohne Sicht auf die Sänger hielt Graf alles zusammen und konnte, von Kleinigkeiten abgesehen, mit der Orchester-Leistung absolut zufrieden sein. Das war Strauss, wie man ihn sich wünscht und jedenfalls mehr, als manche zu hoffen gewagt hatten. Der von Holger Kristen einstudierte Chor beeindruckte gleichermaßen, stand aber etwas im Schatten der Sensation des Abends, nämlich dem Kinderchor: Mehr Klangschönheit und Präzision in der anspruchsvollen Partitur kann bei so jungen Sängerinnen und Sängen nicht erwartet werden. Lucio Golino, der seine Schar auch bei der Vorführung dirigierte, gebührt großes Lob für die perfekte Vorbereitung.
Kristiane Kaiser, die von Mozart über diverse Operetten bis hin zu den Titelpartien in La traviata und Rusalka schon das meiste von dem gesungen hat, was das umfangreiche Volksopern-Repertoire hergibt, empfahl sich mit ihrer ersten Strauss-Rolle für mehr davon. Ihre angenehme Stimme hat die nötige Größe und sichere Höhe und ist trotz ihres ausgeprägten Vibrato immer sauber geführt und nie schrill.
Leider war ihr Dietrich Henschel als Kunrad kein ebenbürtiger Partner. Er gestaltete seine Rolle mit Charisma und Musikalität, was aber nicht über seine begrenzten stimmlichen Möglichkeiten hinweghalf; das habe ich leider nicht nur an diesem Strauss-Abend erlebt. Zwar schlug er sich wacker mit einigen schönen Momenten wie im Liebes-Duett mit Diemut, aber im Vergleich mit den starken Leistungen der Volksoper-Ensembleherren an diesem Abend (besonders erwähnenswert sind jene von Roman Sadnik als Burgvogt, Yasushi Hirano als Schmied, Stefan Cerny als Leitgeb, Günter Haumer als Bäcker und nicht zuletzt Karl-Michael Ebner als Hafner) drängte sich der Gedanke auf, dass das Gute vielleicht näher liegt, als man gemeinhin annimmt. Die Damen des Ensembles boten ebenfalls Erfreuliches, wobei die Altistin Martina Mikelić aus dem Trio mit Elvira Soukop und Birgid Steinberger besonders hervorstach.
Auf jeden Fall ist der Volksoper für diesen gelungenen Beitrag zum Strauss-Jahr zu gratulieren. Mit der Auswahl von Feuersnot entschied man sich – passend zum „Kulturauftrag“ des Hauses – nicht nur für ein volksnahes und witziges Stück des Jubilars, sondern auch für das Risiko, ein kaum bekanntes Werk zum Besten zu geben. Aus künstlerischer Sicht hat sich dies auf jeden Fall gelohnt, und für die beiden folgenden Aufführungen ist dem Haus eine noch bessere Auslastung als bei der Premiere zu wünschen.
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“Der Volksoper ist für diesen überaus gelungenen Beitrag zum Strauss-Jahr nur zu gratulieren.”
Rezensierte Veranstaltung: Volksoper Wien, Wien, am 14 Juni 2014
Strauss R., Feuersnot (opera in concert)
Volksoper Wien
Hans Graf, Dirigent
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