Am Anfang erobern sich sieben Personen aus dem dunklen Hintergrund die Bühne des Schwetzinger Rokokotheaters. Noten haben sie dabei, die Kostüme finden sie vor. Dann setzt die Ouvertüre ein. Nach und nach nehmen sie ihre Rollen an.

Theresa Immerz (Venus) und João Terleira (Cupido) © Susanne Reichardt
Theresa Immerz (Venus) und João Terleira (Cupido)
© Susanne Reichardt

Die Oper, die sie nun spielen und singen werden, wird Johann Sigismund Kusser zugeschrieben und heißt Adonis. Viel mehr lässt sich über die Entstehung des Werks gesichert nicht sagen. Es gibt Notizen des Komponisten, der am Hof des württembergischen Herzogs in Stuttgart um 1600 als Oberkapellmeister wirkte. Diese legen seine Autorenschaft mindestens teilweise nahe. Offensichtlich handelt es sich um die deutsche Bearbeitung einer italienischen Vorlage, die Kusser bereits vorher in Braunschweig kennengelernt hatte, wo er ebenfalls als Kapellmeister wirkte. Eine zusammenhängende Partitur gibt es nicht. Der Musikwissenschaftlerin Samantha Owens gelang es aber, die vorgefundenen Einzelstimmen zu einem stringenten Ganzen zusammenzufügen.

Zu entdecken gibt es eine zauberhafte frühbarocke Oper. Der Komponist, fast eine Generation älter als Bach und Händel, war erstaunlich polyglott für seine Zeit. Geboren in Preßburg, reiste er quer durch Europa. Nach mehreren Stationen an Fürstenhöfen im deutschsprachigen Raum beendete er seine Karriere in Dublin. Als Dirigent soll er brillant gewesen sein, seine Kompositionen haben sich aber nur in Bruchstücken erhalten.

Loading image...
Jonas Müller (Adonis) und Theresa Immerz (Venus)
© Susanne Reichardt

Lässt sich auch Kussers Anteil an Adonis nicht genau bestimmen, so spricht die Machart der Musik für sich. Denn Kusser war vom Stil Jean Baptiste Lullys beeinflusst, bei dem er in Paris schon im jugendlichen Alter studiert haben soll. Die charmanten Tänze und Entr'eacts atmen den Geist des französischen Barock, die Arien und ihre farbige Begleitung dagegen den der italienischer Oper. Der Text in recht plastischem Alt-Deutsch klingt für unsere Ohren befremdlich, mitunter auch komisch („Welch Traur-Gewülk verhüllt dein Angesicht?”), verstärkt aber den verfremdenden Charakter, den der Regisseur Guillermo Amaya bei diesem Spiel mit den Figuren aus der antiken Mythologie angestrebt hat.

Denn es geht um antike Götter, ihre Liebeshändel mit sterblichen Wesen und die Freuden und (hier meistens) Leiden, die sie sich gegenseitig antun. Eigentlich spielt Cupido (oder Amor) die Hauptrolle, welcher die drei Paare mit seinen Liebespfeilen in gehörige Verwirrung stürzt. Denn sie passen eigentlich gar nicht zusammen, nur einer (oder eine) von ihnen verspürt starke Liebessehnsucht, der andere Part bleibt dagegen unempfindlich. Heftig stalkt Apoll die Nymphe Daphne, die von Männern gar nichts hält. Auf der Flucht vor ihm wird sie sich schließlich in einen Baum verwandeln. Vulcanus brennt für die Amazone Pallas, die ihm nur die kalte Schulter zeigt. Und Venus verzehrt sich nach Adonis, der einzig an der Jagd Vergnügen findet. Bei all dem ist Cupido kein netter Geselle. Zynisch findet er, dass Liebe vor allem Pein bereiten soll. Ausgangspunkt all seiner Bosheiten war am Anfang, dass ihn seine Mutter Venus gescholten und (mit einem Rosenstrauß) verprügelt hat, weil er seine Pfeile allzu wild umherzuschießen pflegt.

Loading image...
Rémy Brès-Feuillet (Apollo) und Indre Pelakauskaite (Daphne)
© Susanne Reichardt

Diese Konstellationen geben Gelegenheit für wunderschöne Arien in der ganzen Bandbreite der barocken Affektenlehre. Darin geben die jungen Sängerdarstellerinnen und -darsteller ihr Bestes. Sie identifizieren sich mit ihren Rollen, und in ausreichend sparsamer Bühnenausstattung konzentriert die Regie die Personen auf glaubwürdiges Spiel. Überzeugend heutig – wie im richtigen Leben. Durch die passenden Kostüme werden die Figuren zusätzlich bestens charakterisiert.

Mit seinem Bogen turnt Cupido als pubertierender Jüngling in kurzen Hosen über die Bühne. Dank seines flexiblen Tenors meistert João Terleira seine Rolle auch vokal großartig. Theresa Immerz spielt eine sensible Venus und singt mit jugendlicher Stimme ausnehmend schön in gestochen klaren Koloraturen und wandlungsfähig in der Farbgebung. Als Adonis erleben wir im jungen Bariton Jonas Müller einen herzerfrischend unbedarften Naturburschen und Jäger, der sich schließlich aber der erotischen Ausstrahlung der Liebesgöttin doch nicht entziehen kann.

Köstlich ist der Counter Rémy Brès-Feuillet als Apoll, ein selbstverliebter Beau im schwarzen Gesellschaftsanzug mit roter Bauchbinde, der sich mittels des Bühnenscheinwerfers stets ins rechte Licht zu rücken sucht. Dass Daphne (Indre Pelakauskaite) von seinen Nachstellungen zu viel bekommt, daran lässt die Sängerin auch stimmlich keinen Zweifel: Nein, heißt nein!

Loading image...
Sreten Manojlović (Vulcanus) und Zuzana Petrasová (Pallas)
© Susanne Reichardt

Im feuerroten Anzug steckt Vulcanus, der Gott der Schmiede, wenn er seine kleine Werkstatt auf die Bühne rollt. Der Bassbariton Sreten Manojlović  bietet vokal eine Menge Aggressionspotential auf, um seine enttäuschte Liebe zu beklagen. Im Spint hat er das Bild seiner Flamme Pallas stecken (Zuzana Petrasová), die trotz seiner Liebesattacken ruhig und besonnen bleibt.

Am Schluss ist der Deus ex machina einfach gestrichen. Jupiter hat hier nichts mehr zu klären. Die Situationen bleiben wie sie sind. Auch die Tragik war nur ein Spiel. Adonis hat den Tod durch seine Jagdverletzung nur gespielt und Daphne sich nicht in einen Lorbeerbaum verwandelt. So macht die Regie aus der Barockoper ein Stück für heute. Zum Schlusschor treten die Darstellerinnen und Darsteller am Rand der Bühne wieder aus ihren Rollen heraus, und das Fazit lautet: Lasst uns das Leben feiern!

Jörg Halubek, der diese Oper bereits konzertant aufgeführt hatte, tat recht daran, sie dem Heidelberger Theater anzutragen. Mit den zwanzig Musikerinnen und Musikern des Theaters hat er einen wunderbaren, farbigen, federnden barocken Klang geschaffen.

*****