Zwei oder drei Hammerschläge, diese Frage steht häufig im Mittelpunkt von Aufführungen Gustav Mahlers Sechster Symphonie. Beim Konzert des Tokyo Symphony Orchestra unter der Leitung seines Musikdirektors Jonathan Nott erübrigt sich diese Diskussion, denn gleich fünf Schicksalsschläge erklingen an diesem Abend in der Suntory Hall der japanischen Hauptstadt, die Herbert von Karajan einst als „akustisches Schmuckkästchen“ bezeichnete. Und das ist sie wirklich: Reich und sonor klingt das Orchester aus der nahegelegenen Stadt Kawasaki, immer weich und dennoch griffig, dabei niemals schallend-metallen. Schon bei den ersten Tönen versteht man, warum diese Konzerthalle als eine der bestklingenden der Welt gilt.
Doch sind es nicht die eröffnenden Marschtöne der Symphonie, die den Abend eröffnen. Nott stellt der „Tragischen“ György Ligetis Musica Ricercata Nr. 2 voran. Miki Onodera spielt das dreiminütige Klavierwerk aus dem Orchester heraus, ehe sich das gesamte Ensemble attacca in Mahlers Symphonie stürzt. Rasch beginnt der Eröffnungsmarsch, leicht und transparent ist die Klangtextur, dabei aber niemals trivial oder gehetzt. Gleich von Beginn an stellen Nott und sein Orchester dabei das heraufziehende Unausweichliche heraus, stellen die Vorzeichen in den Vordergrund, vergessen darüber aber nicht, die frohen und leichten Momente auszukosten.
Über die gesamte Symphonie beweist Notts große Stärke darin, den Schwung und Fokus aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die groß angelegte Struktur und die langen Linien klar darzustellen. Trotz Detailverliebtheit, verliert er dabei die Gesamtarchitektur von Mahlers Werk nie aus dem Blickfeld. Besonders offensichtlich wird das im zweiten Satz, an dessen Stelle Nott ganz wie ursprünglich geplant – wenn auch von Mahler selbst nie in dieser Reihenfolge aufgeführt – das Scherzo setzt. Mit Biss und Akkuratesse wandelt das Orchester zwischen Pastorale und Satire. Das Andante moderato beginnt weich und warm, ehe sich strengere Untertöne in den Klang mischen und zum Finale hinführen, in dem das Publikum selten gehörte fünf Hammerschläge erwartet.
Das ist ganz wie im Original geplant: Fünf Mal schlug das Schicksal in Mahlers Ursprungsentwürfen der Partitur zu. Schnell reduzierte der Komponist auf drei Hammerschläge, später auf zwei. Das Konzert des Tokyo Symphony Orchestras zeigt an diesem Abend, warum weniger manchmal mehr ist. Nicht durchschlagend-schicksalhaft klingt der Hammer an diesem Abend, sondern gewöhnlich-beiläufig. Mit jedem Mal weniger effektvoll klingen die Schläge, Energie und Momentum gehen verloren – und so führt ein schicksalsüberladenes Finale von Mahlers „Tragischer“ zu einem ungewöhnlich leichtfüßigen Ende, dem es an kumulativer Spannung fehlt. In Maßen, nicht in Massen, scheint das Zauberwort, das das Orchester ansonsten in seiner farbenreichen, technisch-brillanten Interpretation so sehr beherzigt.