In der Opernwelt gibt es zahlreiche grüblerische Außenseiter; eine Hand voll davon sieht man in der kommenden Spielzeit an der Deutschen Oper in Berlin. Von Wagners Fliegendem Holländer zu Gustav von Aschenbach in Brittens Tod in Venedig gestatten die neuen Produktionen dem Publikum, die Psyche dieser Figuren zu erforschen.

Wagners verfluchter Holländer ist dazu verdammt, die sieben Weltmeere zu durchsegeln; nur einmal alle sieben Jahre ist es ihm erlaubt, an Land zu gehen um in der Liebe einer Frau von reinem Herzen und großer Treue Erlösung zu suchen. Samuel Youn spielt den Holländer in Christian Spucks Neuinszenierung. Der vielversprechende Bass Tobias Kehrer sind Daland, den norwegischen Seekapitän, dessen Tochter Senta (gesungen von der schwedischen Sopranistin Ingela Brimberg) geradezu besessen ist von der Geschichte des geisterhaften Holländers. Könnte sie diejenige sein, die ihn erlöst? Donald Runnicles besitzt ausgezeichnete Wagner-Erfahrung, um das Publikum durch dieses stürmische Werk zu führen.

Runnicles steht auch bei einer weiteren Wasser-Oper auf dem Podest – Benjamin Brittens Tod in Venedig, die sich um die letzten Wochen des Einzelgängers Gustav von Aschenbach dreht, einem fiktiven großen Autor, der Venedig besucht, um seine Schreibblockade zu lösen. Dort angekommen, ist er besessen von der Schönheit des polnischen Teenagers Tadzio, bevor er an Cholera erkrankt und letztlich daran stirbt. Brittens Oper ist ein spartanisches, krasses Werk, das der Regie viel Freiraum zur Interpretation lässt. Graham Vick inszeniert damit seine vierte Produktion für die Deutsche Oper mit Richard Croft in der Rolle des von Aschenbach. Britten gibt einem Bariton viele Rollen, von denen jede zu versuchen scheint, Aschenbachs Fortschritt zunichte zu machen. Seth Carico spielt diese vielfachen Rollen, während der Countertenor Tai Oney die himmlische Stimme des Apoll gibt, die Aschenbach im Traum erscheint.

Außenseiter sind nicht immer einzelne Personen; es kann auch eine ganze Gruppe von Menschen sein – man betrachte nur einmal die Hugenotten, 1572 von den Katholiken in einem Massaker in der Bartholomäusnacht (Pariser Bluthochzeit), einem der blutigsten in ganz Europa, niedergemetzelt. Sie stehen im Zentrum von Meyerbeers Oper Les Huguenots, die im 19. Jahrhundert sehr beliebt war, nun jedoch in Vergessenheit geraten ist. Obwohl sie auf einem historischen Ereignis fußt, ist die romantische Verbindung zwischen der katholischen Valentine (Tochter des Grafen de Saint-Bris) und dem protestantischen Raoul frei erfunden. Sie war das erste Werk, das über 1000 Mal an der Pariser Oper gegeben wurde, ist jedoch teuflisch schwer zu besetzten, verlangt es doch sieben Protagonisten – die Met pries es oft als „Nacht der sieben Stars“ an. Für David Aldens Neuproduktion, Teil des Meyerbeer-Zyklus, hat die Deutsche Oper ein erlesenes Ensemble zusammengestellt, allen voran Juan Diego Flórez als Raoul sowie Patrizia Ciofi als Marguerite de Valois und Olesya Golovneva als Valentine. Nach dem starbesetzten Vasco da Gama der letzten Saison ist Les Huguenots sicherlich einer der großen Termine im Berliner Opernkalender.

Edward II., König von England von 1307 bis zu seiner Entthronung 1327, ist das Thema einer neuen Oper von Andrea Lorenzo Scartazzini zu einem Libretto, das auf Christopher Marlowes Drama basiert. Sie zeichnet die (möglicherweise homosexuelle) Freundschaft des Königs mit Piers Gaveston und die Eifersucht und den Verdacht, die sie am Hofe aufkommen ließ, wo die Adligen ihre blutige Rache nahmen, Gaveston ermorden und den König entthronen ließen. Scartazzinis Werk wird die Rolle Edwards als Außenseiter betrachten und die Einstellungen der Gesellschaft – damals und heute – zu Homosexualität erkunden. Es verspricht, ein kraftvolles Werk zu werden; Regie führt Christoph Loy, am Pult steht Thomas Søndergard.

Boris Godunov mag kein Außenseiter sein, doch in Mussorgskys Oper ist er ein Einzelgänger, der – zumindest in Richard Jones' Neuinszenierung – von Erinnerungen an den Mord des jungen Zarewitsch verfolgt wird, der auf sein Geheiß hin verübt wurde. Es ist eine Co-Produktion mit der Royal Opera, wo die Oper in diesem Frühjahr gezeigt wurde. Jones wählte die Originalfassung von 1869, die jahrelang aufgrund der bevorzugten, polierteren Revision gemieden wurde. Das Original konzentriert sich mehr auf Godunov und die Art und Weise, wie die Schuld auf ihn lauert und ihn beständig um sich blicken lässt, ob ihm jemand die Krone streitig machen will. Ain Anger, der in London den Mönch Pimen spielte, nimmt nun die Rolle des Zaren an, die zu seinem tintenschwarzen Bass hervorragen passen sollte. Kirill Karabits, im Vereinigten Königreich bekannt als Dirigent des Bournemouth Symphony Orchestra, übernimmt die musikalische Leitung.

Die andere Neuinszenierung dieser Spielzeit ist Mozarts Così fan tutte – keine Oper über Außenseiter, sondern über vier junge Verliebte, denen der zynische Don Alfonso eine Lektion in puncto Liebe lehrt. Mozarts Oper ist passenderweise „La scuola degli amanti“ (Die Schule der Liebenden) untertitelt. Regie führt Robert Borgmann mit einem ausgezeichneten, jungen Ensemble; in der Rolle der Fiordiligi hört man die australische Sopranistin Nicole Car, die sich letzten Herbst mit wichtigen Covent Garden-Debüts bereits beim Londoner Publikum vorgestellt hat.

Unter den vielen Wiederaufnahmen an der Deutschen Oper in der kommenden Spielzeit sollte ein erlesenes Ensemble Sie in Die Entführung aus dem Serail (für Olga Peretyatkos Konstanze), Eugene Onegin (Traumpaar Sonya Yoncheva und Andrei Bondarenko als Tatyana und Onegin) und L’elisir d’amore (mit Roberto Alagna und Aleksandra Kurzak, die auch im wahren Leben verheiratet sind, als Nemorino und Adina) ziehen. Im Frühling wird Donald Runnicles auch zwei Zyklen von Wagners Ring dirigieren; zum Ensemble zählen Evelyn Herlitzius, Iain Paterson und Stefan Vinke.

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Diese Vorschau entstand im Auftrag der Deutschen Oper Berlin.

Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.