Just erst letzte Woche mal wieder im Konzert gehört und rezensiert, stelle ich Ihnen mit der Weihnachtskantate Christen, ätzet diesen Tag, BWV63, Bachs älteste erhaltene Figuralmusik für dieses höchste Kirchenfest vor. Älteste deshalb, weil sie ursprünglich zum 1. Weihnachtstag 1713 aus dem Zusammentreffen der Gedenktage Jesu Geburt und der von Herzog Johann Ernst entstand, selbst wenn nur als gesichert gilt, dass Bach sie am Morgen des 25.12.1723 in Leipzig in heute bekannter Form aufführte. Im Vespergottesdienst selbigen Tages übrigens gefolgt vom berühmten Magnificat, natürlich in erster Fassung in Es-Dur, mit Blockflöten und Weihnachts-Laudes als Zwischensätze. Der Weimarer Umstand der Kantate lässt – neben dem Eindruckschinden zur ersten Weihnachtsfeier als Thomaskantor – die besonders große Besetzung mit gleich vier Trompeten erklären, die Bach nur noch einmal zu seiner ersten Leipziger Ratswahl im August zuvor mit BWV119 aufbieten sollte. Doch bevor ich weiter darauf eingehe, erlauben Sie mir weitere Hintergründe.

Eine Vermutung ist nämlich, dass Bach BWV63 zum Reformationsjubiläum 1717 in Halle parodiert zum Klingen brachte. Ausgerechnet in Halle, der Saale-Stadt, von der er am 13. Dezember 1713, also unmittelbar vor der ersten Aufführung, die Zusage als Marienkirchenorganist als Nachfolger Friedrich Wilhelm Zachows, unter anderem ein Lehrer Händels, bekam, die er allerdings nicht annahm. Oder besser gesagt beim Nein seines Dienstherrn, Herzog Wilhelm Ernst, nicht annehmen konnte. Spätestens ab da zerrüttete sich das Verhältnis in Weimar, wollte Bach eben endlich mehr. Mehr Prestige, den Kapellmeisterposten, mehr Gehalt und – wenn nun mal nicht Weimar – mehr Freiheit, war er am Hofe ein Lakai. Es führte dazu, dass Bach vom Herzog zwischen dem 6. November und 2. Dezember 1717 wegen „Halsstarrigkeit“ ins Gefängnis gesteckt wurde, nachdem das Tischtuch ab 1. Dezember 1716 endgültig zerschnitten gewesen war.

An dem Tag verstarb der Weimarer Musikchef Johann Samuel Drese; doch obwohl Bach als Ausweis seiner Wertschätzung kompromisslich und zu vermeintlichen Beruhigungszwecken 1714 den Titel des Konzertmeisters verliehen bekam, wollte der Herzog sofort einen anderen Nachfolger. Georg Philipp Telemann, den – wie Bach aus Leipzig und seiner Heimat Eisenach sowie wiederum später bei der Thomaskantoratswahl erneut in Leipzig merken sollte – angesehensten, begehrtesten deutschen Komponisten. Zwar lehnte Telemann – sicher auch aus Freiheitsgründen – ab und schlug, so wie im Leipziger Verfahren, kollegial seinen guten Kumpel Bach vor („Sie haben den Besten bei sich, den man sich vorstellen könne“). Allerdings blieb Wilhelm Ernst selbst stur. Bach trat in einen Arbeitsstreik, ging nach Halle, vorher mal nach Erfurt und Köthen, wo er unterdessen den Vertrag bei Fürst Leopold zum August 1717 als Leiter einer exquisiten Hofkapelle unterschrieb, von dem er dem Herzog in Weimar widerrechtlich nichts sagte; und den er nach dem Absitzen der Gefängnisstrafe bekanntlich am Ende – unehrenhaft entlassen – noch eingehen durfte.

Zurück zur eigentlichen Kantate, in der alles im rechten Lot ist und doch einiges außer der Reihe. So enthält sie, die auf die Weihnachtsgeschichte nicht durch evangelienberichtliche Worte Bezug nimmt, keine Solo-Arien, dafür mit umrahmenden Anfangs- und Schlusschören sowie drei Rezitativen (zwei Accompagnati) zwei Duette aufgeteilt auf die vier Solisten. Sie umgeben in symmetrischer Draufschau das zentrale Rezitativ, das ich hier einmal in vielerlei zupass kommender Hinsicht ganz nennen möchte: „So kehret sich nun heut das bange Leid, mit welchem Israel geängstet und beladen, in lauter Heil und Gnaden. Der Löw aus Davids Stamme ist erschienen, sein Bogen ist gespannt, das Schwert ist schon gewetzt, womit er uns in vor’ge Freiheit setzt.“ Denn nach vorab Gesagtem kann man sich dabei erwischen zu denken, dass Bach die kämpferische Hoffnung auf die Befreiung Israels aus der Sklavenschaft neben Christuskind und Prinzenbaby auch weihnachtswunschäußernd auf seine Position projizierte.

Schon die Chöre sollen der Hörerschaft in durchaus mehrdeutig auf Bach umlegbare Würdigung der Weimarer Handwerkskunst den Tag der biblisch-historischen und adlig-aktuell stilisierten Heilandsgeburt in Stein und Gedächtnis meißeln, wofür der Komponist eben die ganze Lautstärke und Pracht der besagten vier Trompeten mit Pauken, drei Oboen und Streichern auffährt. Aus kurz eingepflegtem „Dank und Pflicht“ bricht dabei erwähnter „Strahl“ der Hoffnung herein, der die mitunter ernste Feierlichkeit und tänzerische Erwartung von Gnade mit dem freudigen Zukunftsversprechen versieht. Auffangend und erbetend geht der Schlusschor nochmals auf die fromme Unterwürfig- und beachtenswerte Dienstlichkeit in aller Leidenschaft ein. Stimmt Bach in erstem Duett für Sopran und Bass mit Solooboe und Continuo eine fatalistisch-gesegnete Nachdenklichkeit an, löst sich diese im zweiten von Alt und Tenor in einem Festappell ebenfalls recht ungewöhnlich virtuoser Vokalart mit den Streichern auf. Und zwar in den, sich in Gottes Dankbarkeit zu versammeln. Begeben Sie sich – wenn möglich – unter Ihre Lieben und Nächsten für besinnliche Stunden. Eine frohe Weihnacht!