Die Anzahl der Musiker, die ihre persönlichen, positiven wie auch negativen Eindrücke von Werken, Komponisten oder Dirigenten sowie ihr stilistisches Empfinden am liebsten in eigener oder von Kollegen kreativ umgesetzter, komödiantischer Aufbereitung verwirklicht sehen wollen, ist gewiss nicht klein. Heute wie zu früheren Zeiten, zum Beispiel um 1730, als John Frederick Lampe zusammen mit Librettist Henry Carey die Opera-seria-Persiflage The Dragon of Wantley ausheckte. Lampe wurde 1702 oder 1703 geboren, stammt aus dem Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, studierte zunächst, wie Händel, Jura, ging dann als Fagottist nach London, wo er am King’s Theatre zahlreiche Opern des etwas älteren deutsch-britischen Stars im Graben spielte – und sich eben so seine Gedanken machte.

Da Händels italienischer Opernzenit langsam zu seinem Ende kam, weshalb er zunehmend und dann ebenfalls maßstabsetzend auf englische Oratorien auswich, wollte Lampe sein Statement dazu und dem Wiederaufkommen des musikalischen Nationalbewusstseins mit einer eigenen Oper abgeben. Beeinflusst von Johann Christoph Pepuschs und John Gays Beggar’s Opera, die in englischen gesprochenen Dialogen und Musik gesetzt ist, schuf Lampe mit Uraufführung 1737 ein erst zweiaktiges, schließlich dreiaktiges Stück, das mit eindeutigen Hinweisen und melodiöser Anerkennung des humoristisch Gemeinten Händels Opernwirken aufs Korn nimmt. Texter Carey selbst fasste es so zusammen: „Wir verbrachten viele fröhliche Stunden mit der Komposition, wobei wir Wörter, Silben und Verse zerschnitten, stutzten, verlängerten und erfanden, um auf Englisch die Schönheit des Unsinns darzustellen, der in den Italienischen Opern so überwiegt.“
Herausgekommen ist teils derb-vulgärer Wortwitz, verpackt in eingängiger Musik mit folgendem Klamauk-Plot: Ein Drache versetzt die Einwohner ländlicher Kleinstadt Wantley (Yorkshire) in Angst und Schrecken, so dass sie nichts sehnlicher wünschen als dessen gezieltes Ableben. Als Drachentöter wird Pubdauergast Moore of Moore Hall auserkoren, dessen Zaubertrank Alkohol (er gießt sich zu gerne einen auf die Lampe) und Kompetenz dadurch enthemmtere Risikobereitschaft ist. Der Auftrag später kein Problem: Statt eines Schusses oder Hiebes verpasst Moore dem Viech einfach einen kräftigen Tritt in den Allerwertesten. Exitus. Viel heikler ist natürlich, dass sich Moore in anbiedernde Margery, Tochter Ortsvorstehers Gaffer Gubbins, verliebt, obwohl mit – nach Ansicht des Helden – menschlichem Drachen Mauxalinda verlobt. Doch handelt Moore auch diese Aufgabe, so dass final seine Zukunft mit Margery und diejenige Wantleys gefeiert werden kann.
Die Kömodie brachte das Boston Early Music Festival Chamber Ensemble mit seinen Leitern Stephen Stubbs und Paul O’Dette nach heimischer Aufführung 2023 unter Regie formationseigenen Gilbert Blins samt Dance Company aus zwei Personen nun zum Musikfest Bremen, dem Aufführungen im ältesten schwedischen Rokokotheater in Solna vorausgegangen waren. Von dort engagierten sie Tessan-Maria Lehmussaari, um als tatsächlich reale Retterin die durch leider unpässliche Stimme nur darstellerisch agieren könnende Sopranistin Hannah De Priest mit breitestem Register und spezielle Rhetorik verlangendem Affekt in kurzer Einspringzeit vokal blendend zu ersetzen. Sie fügte sich damit nahtlos in den (auch chorhomogenen) Cast, der mit herrlich nahbarem Moore-Margery-Paar Aaron Sheehan und Teresa Wakim, ihrer hinzugefügtes Eigenleben entwickelnden, pantomimischen Doublette aus Tänzern Julian Donahue (Diener Robin) und Sonam Tshedzom Tingkhye (Schwester Kitty), verkniffen-ernstem Anleiter-Gubbins Douglas Williams‘ und mit Flatulenz feuerspuckenden Odem ausgehendem Punk-Perücke-Dragon John Taylor Wards sängerisch, schauspielerisch und beweglich durchweg hervorragende Eleganz, Verständlichkeit, Klarheit, unterhaltsamste Artikulation und Bühnenfreude in sich vereinigte.
Erwies sich das BEMF Chamber Ensemble dazu als verlässlichster Begleiter, der sich in der Balance geschickt zurücknahm, wobei manche Effekte im Verhältnis auch etwas zahm wirkten und kleinere Intonationsprobleme des Konzertmeisters Robert Mealy durch die solistische Streicherbesetzung stärker auffielen, gefiel Blins gelungenes Konzept ebenfalls auf ganzer Linie. Es strapazierte, abseits der genialen Freiheit, so Robin und Kitty zu erschaffen, fast alternativlos inspiriert durch Careys Worte sowie die vergnügliche Absurdität der Handlungslegende und ihrer Charaktere, die Lachmuskeln, indem der Regisseur die Konventionen barocker Szene und Gesellschaft durch ein Laien-Theater im Theater selbst abermals karikierte. Hauptelement dessen war die völlige, stets mit perfektem Timing der Akteure versehene Überdramatisierung, die sich in der glänzenden Unbeholfenheit beziehungsweise Monty-Python-Slapstick aus Mimik, Gestik, den – wie üblich bei BEMF-Produktionen – historischen Kostümen (Seth Bodie) und dem Einbau der Requisiten widerspiegelte.
Köstlich, wie Blin im Aufgriff des Nationalbewusstseins das pomeranzige Provinzielle verulkte, das darin gipfelte, Moore anstelle mit immerhin passenderen England-Flaggen (St. George‘s Cross!) gleich in übernehmendem Over-the-top mit kleinen UK-Fähnchen anzufeuern und den Drachen mit großem Union Jack zu reizen, in den sich Margery letztlich als gefühlte Queen zum Schlussbild hüllen sollte. Ein königlicher Spaß, der es verdient, vermehrt sein fantastisches Unwesen treiben zu dürfen.