Mozart bezeichnete seine sechs Haydn gewidmeten Quartette als die „Frucht einer langen und mühsamen Anstrengung“. Doch beherrschte er die Kunst, alle Spuren des Mühewaltens in der Komposition selbst dann zu verbergen. Das Hagen-Quartett ist nicht zuletzt genau aus dem Grunde prädestiniert dazu, sich als eines der wenigen Ensembles zuzutrauen, in einem Konzert nur Mozart-Quartette zu spielen, weil sie die Kunst beherrschen, hochkomplexe Werke so kompromisslos, wie scheinbar selbstverständlich schnörkellos darzubieten. So auch hier im Pierre Boulez Saal.
Um jedes Detail wird in den Proben gerungen; in der Aufführung selbst werden dann rundgeschliffene Edelsteine präsentiert, denen aber ein falsches klassizistisches Ebenmaß nicht aufgedrückt wurde. So kam gut zu Gehör, was Mozarts Zeitgenossen einst dazu brachte, diese Quartette als falsch komponiert einzustufen.
Mit aller Sorgfalt widmete sich das Hagen-Quartett den feinsinnigen Eigenarten der Formgebung des das B-Dur-Quartett eröffnenden Allegro-Satzes, der unter ihrem Spiel geradezu neu entstand. Leicht wie ein Divertimento erklang das Hauptthema; ein zweiter Gedanke folgte. Eine wie beiläufig eingestreute Floskel schickte sich an, das zweite Thema einzuführen, das sich aber nicht so recht zusammenfinden wollte. Wenn ein solches dann erklang, hatte längst die Durchführung begonnen. Schritt für Schritt eroberte sich die Floskel allmählich den Rang, Hauptmotiv des Satzes zu sein. Am Ende angekommen, war ihm dies gelungen, und die vier Musiker*innen verabschiedeten es im leicht zurückgenommenen Tempo.
So leichtsinnig der erste, so tiefsinnig wurde der langsame Satz vorgetragen. Lukas Hagen an der Primgeige konnte mit feinster Phrasierungskunst seine Kantilene von c- nach b-Moll führen und danach mit seinem Bruder Clemens (Violoncello) ein Zwiegespräch führen.
Wesentlich kontrapunktisch gearbeitet ist das A-Dur-Quartett zu gestalten. Mit aller Sorgfalt intonierte Lukas Hagen im eröffnenden Motiv die chromatische Schlangenlinie und führte sie in die absteigende Tonleiter über. Das Ganze verdichtete sich; ein Fugato setzte ein. Alles schien auf Gewichtiges zuzusteuern, da erklang ein homophones, wie einem Menuett entliehenes Thema, das sich, aus C-Dur kommend, in den Kopfsatz verirrt zu haben schien, über Umwege dann doch in das Seitenthema gelangte, das wiederum eine Variante des Hauptthemas ist. Den vier Musiker*innen gelang es, wie so oft an diesem Abend, Musizierlust mit Erkenntnisgewinn zu einer Einheit zu verbinden, was bloßer Notentextlektüre nie gelingen kann.
Das Menuett hat unter den Bögen der Vier alles Tänzerische hinter sich gelassen. Zu Gehör kam eine Studie über das Setzen von kleinen Motiven, dem Kombinieren und Engführen derselben, wobei nicht vor klanglichen Härten zurückgeschreckt wurde, die dabei entstanden.
Bei der Darbietung der Variationenfolge trat Mozart als Humorist hervor. In der letzten Variation übertönte das Violoncello mit einem Trommelbass zunächst die anderen Instrumente, konnte sie aber doch davon überzeugen, diese simple Begleitfigur zu übernehmen.
Im Finale entrollten die vier Musiker*innen die Imitationen eines einfachen Motivs und ließen ein regelrechtes Perpetuum mobile entstehen. Aufzuhalten war dieses nur durch einen Choral in der Mitte des Satzes, den das Hagen-Quartett aber nicht vom Himmel fallen ließ, sondern so spielte, dass dessen entlegene Verbindung mit dem Thema des Satzes hörbar wurde.
Nach der Pause erklang das C-Dur-Quartett, dem Mozart ein Ricercar voranstellte. Das Hagen-Quartett intonierte diese Einleitung dunkel im Ton und bewusst konfus: wie das Chaos, das dem geordneten Kosmos vorausgeht. In seinem Gefolge breitete sich der Sonatensatz wie von aller Kompliziertheit befreit aus. Auch diesen musizierte das Ensemble hellwach im Dienste Mozartscher Formkunst, wenn es z. B. ausführlich in die Tonart des Seitenthemas zu modulieren, dann aber doch kein Thema, sondern eine zweite Überleitung vorzutragen hatte, die nur als Thema verkleidet wurde.
Im Andante cantabile ließ das Ensemble nachvollziehbar werden, dass sich die Funktion eines Themas bei seiner Wiederholung dann ändert, wenn es nicht an den Ort gebunden war, an dem es eingeführt wurde. Wo Buchstaben in einer Analyse das Formgerüst nicht in den Griff bekommen, da gestalteten die vier Musiker*innen des Hagen-Quartetts dies als einen lebendigen Formorganismus.
Das Finale ließen die Vier wie ein Rondo beginnen, das sich allmählich in einen Sonatensatz einfand. In der Durchführung hatten sie die beiden Themen einander anzugleichen und sich bei diesem Kraftakt in entfernte Tonarten zu verlieren. Die Reprise setzte falsch ein und fand nur allmählich in die Grundtonart hinein. Auch hier nahm das Ensemble wie so oft an diesem Abend das Vibrato zurück, um die Struktur zu durchleuchten.