Ein gutes Konzert beginnt mitunter schon mit der Wahl der Stücke, die aufgeführt werden. So wählte das 1981 in Salzburg gegründete Hagen Quartett zwei Streichquartette Haydns und das Dritte von Brahms für sein Konzert im Berliner Pierre Boulez Saal aus. Brahms verstand mehr von Haydn als alle seine Zeitgenossen – wie sich beide Komponisten ineinander spiegeln lassen, das zeigte das Ensembles.

Hagen Quartett © Harald Hoffmann
Hagen Quartett
© Harald Hoffmann

Haydns F-Dur-Quartett aus Op.74 begonnen nahm das Ensemble als Kammersymphonie; es ist für einen großen Konzertsaal in London komponiert worden. Mit markanten Akzenten intonierten sie das Motto im Unisono. Das aus ihm gewonnene Hauptthema beherrschte den gesamten Satz, wurde aber jedesmal in allen Finessen der Klanggestaltung und der dynamischen Nuancierung anders vorgetragen, wogegen die Begleitstimmen aus kleinräumig-individuellen Motiven dem Satz ein glitzerndes „Innenleben“ verliehen. Es gab keine Phrase, die nicht atmete. Mit feinstem Sinn für die Architektur dehnte und straffte das Hagen Quartett subtil das Tempo, wenn es dem Nachvollzug der Syntax dieses Satzes diente.

Im langsamen Satz durfte sich das Thema pro Variation in jeweils einem der vier Instrumente aussingen, und im Menuett wurden die kräftig gegen den Tanzrhythmus gesetzten Akkorde pointiert hervorgehoben. Geistreich und mit Witz musizierten sie das Finale.

Dann folgte das g-Moll-Quartett aus Op.74. Mit energisch aufspringenden, durch scharfe, kurze Vorschläge zum Galoppieren gebrachte Oktaven eröffnete das Hagen Quartett den Kopfsatz. Der Vorspann geriet ins Stocken, kam zum Stillstand und machte dann dem Hauptthema Platz, das sich, wie von dem heftigen Beginn eingeschüchtert, durch die vier Stimmen hindurch tastete. Erst im Seitensatz wurden die Oktaven zwar thematisch, waren aber, wie von einem Wirtshausgeiger auf der Fiedel und mit Glissando versehen zu spielen.

Den langsamen Satz zelebrierten die vier in einem fast opernhaften Charakter. Das Thema nahmen sie als instrumentale Cavatine, deren Melodie Lukas Hagen, gemäß der seinerzeit üblichen Sängerpraxis, in der Reprise verzierte wie eine Primadonna. Mit großem Temperament und rhythmischer Finesse preschten sie das atemlose, durch Synkopen vertrackte Thema des stürmischen Finalsatzes voran, das sie in der Durchführung regelrecht zerfetzten.

Im Gefolge dieses frisch musizierten Haydn wirkte das Dritte Quartett von Brahms wie ein melancholischer Rückblick auf eine Zeit, die für ihn vorbei war. Wie aus der Gedächtniskammer zitierte „Delikatessen“ eines „à la chasse“ klangen die Triolen des Beginns, bis das Hagen-Quartett wie von außen eine Polka in den Satz einzuwerfen hatte. Daraus entfachte das Ensemble einen Konflikt, der erst im Finale gelöst wird. Das Andante glich einem Lied ohne Worte, im dritten trug Veronika Hagen auf der Viola das Thema wie aus der Ferne zitiert und von den übrigen drei Instrumenten con sordino (mit gedämpftem Ton) zärtlich begleitet. Im Finale lüftete das Quartett die geheime Verwandtschaft der Themen mit einer solchen Sorgfalt, dass es zum Höhepunkt des Konzertes wurde und zu einer Sternstunde zur Beantwortung der Frage, was Quartett-Spiel eigentlich bedeutet.

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