Grau, mit blassen Streiflichtern, türmt auf der Bühne eine Kathedrale aus Glas und Stahl. Im sichtlich zerbombten Interior haben die rebellierenden Gallier ein Feldlazarett aufgebaut. Langsam schreitet die Hohepriesterin die Reihe der Gefallenen ab und gibt ihnen den letzten Segen. Unter der Regie von Cyril Teste wird an der Wiener Staatsoper Bellinis Oper Norma irgendwann in die 1930er Jahre versetzt – gedeckte Farben soweit das Auge reicht.
Die Bühne (Valérie Grall) ist dabei durchaus intelligent. Immer wieder fahren große Gazevorhänge herab. Mal wird auf den gigantischen Projektionsflächen der düstere, nebelumschleierte gallische Wald skizziert, andermal werden diese für Live-Großaufnahmen der Protagonisten genutzt. Wie schon auch in seiner Inszenierung der Salome an der Staatsoper, sorgt Teste dabei für eine unglaubliche Nahbarkeit in ausgewählten Schlüsselszenen, ohne dabei die Leistung des Ensembles zum schnöden Kinobesuch abzuwerten.
Auch wieder im Gepäck ist ein eigens kreierter Duft, in dessen Genuss diesmal allerdings nur Käufer des Programmhefts kommen. Erdig, moosig, entfernt floral, dabei sehr drückend und überbordend werden olfaktorische Reize geniert, die nur schwer mit dem auf der Bühne gezeigten in Einklang gebracht werden können. Der Wald bleibt dort nur ein sporadisches Phantasma im Hintergrund.
Überhaupt muss dies der Hauptkritikpunkt an dieser Inszenierung sein: Es fehlt ihr an Substanz. Die Entscheidung, Bellinis tragische Oper nicht im völkischen Realismus, sondern in ansatzweise modernen Ruinen anzusiedeln, ist grundsätzlich keine falsche. Kriege gibt es der Tage genügend, genauso wie Bilder von Menschen, die in dem, was vom Krieg übrig geblieben ist, Schutz suchen.
Doch Teste entwickelt das Thema keinen einzigen Schritt weiter. Norma hätte eine Ukrainerin sein können, die einen russischen General liebt, eine Palästinenserin, die Kinder mit einem Isareli hat. Stattdessen wurde viel Zeit darauf verwendet, das Ensemble mit Seidenschals auszustatten, auf denen anscheinend die Karte von Normas bewaldetem Heimatland zu sehen gewesen wäre. Mit Blick auf das keltisch geprägte Irland oder Shetland, wo teilweise noch heute solche mit Fransen verbrämte Accessoires Teil der Tracht sind, sicherlich ein nettes Zitat, mehr leider aber auch nicht.
Ohnehin scheint die weit offene Bühne, wenn man von den Chorszenen absieht, denkbar ungeeignet, um die vielen, intimen Duette und Terzette der tragischen Oper wirklich zur Geltung zu bringen. Auf eine Personenregie wird nahezu vollkommen verzichtet und so verschwimmt der Abend in grauer Belanglosigkeit.
Federica Lombardi als Norma kann diesen Gesamteindruck nicht verflüchtigen. Ihr Schauspiel bleibt an der Oberfläche und wird dem Pathos der Titelrolle nicht immer gerecht. Gleichwohl tönt ihr etwas kühlerer Sopran allseits klar und durchweg verständlich. Im „Casta Diva” brilliert sie mit gestochen scharfen Konturen und einer durchaus angenehmen, etwas dunkleren Klangfarbe. Was leider durchweg fehlt sind die Emotionen. Egal ob sie die „keusche Göttin“ beschwört, durch Adalgisa die epische Tragweite von Polliones Betruges erkennt, oder ihren inneren Zwiespalt während des versuchten Infantizid durchdekliniert – nach nuancenreichen Differenzen sucht man vergeblich. Nur ganz zum Ende des zweiten Aktes bekommt der Zuhörer den Hauch eines Eindruckes, das in Lombardi auch hörbar Wut, Verzweiflung und Liebe für Mann, Kinder und Vaterland stecken und eben nicht nur Technik.
Freddie De Tommaso – zurzeit auch am MusikTheater an der Wien sehen – kann an ihrer Seite als Pollione diesbezüglich auch keine großen Akzente setzten, doch er ist zumindest entschuldigt. Er war an diesem Abend sehr kurzfristig für den erkrankten Juan Diego Flórez eingesprungen. Lautstark ist sein Tenor, gerade in seinen ersten Szenen, als wolle er die Grenzen seiner Stimmbänder ausreizen. In den Mittellagen ist diese kraftstrotzende Substanz noch ganz beindruckend, doch in den Höhen und Tiefen bisweilen etwas kantig. Auch hier fehlt tiefgründiges Gefühl und so wirkt es nur noch plausibler, das Adalgisa ihm den Laufpaus geben möchte.

Letztere wird von Vasilisa Berzhanskaya gesungen und ist, neben Ildebrando D’Arcangelo als formidabler Oroveso, einer der wenigen echten Lichtblicke an diesem Abend. Ist ihr erfreulich heller Sopran an allen Stellen perfekt und in den Höhen manchmal nicht doch etwas zu scharf? Darüber darf diskutiert werden. Unbestritten aber ist, dass sie jeden Ton mit glaubhafter Emotion und viel Dramatik füllt, die kleinere Fehler nicht nur verzeihen lassen, sondern nahtlos mit der Tragik ihrer Rolle verschmelzen lassen.
Dieses durchwachsenes Bild setzt sich auch im Graben fort. Michele Mariotti dirigiert mit großen Engagement und scheint um jeden einzelnen Ton, jedes einzelne Wort von Chor und Solisten bemüht. Mit dem Fokus auf die kleinsten Details, verpasst er dennoch viele Chancen, die verschiedenen Stimmungsbilder, mit denen die Solisten auf der Bühne konfrontiert werden, subtil herauszuarbeiten. Oftmals tönt es etwas zu getragen. Die echten Highlights fehlen.
Ich ging mit dem Gefühl nach Hause, hier nur ein x-beliebiges Repertoirestück gesehen zu haben, dessen Relevanz schon vor zwei Dekaden abgelaufen ist. Schade eigentlich.