Bei gleichzeitig schmerzlichem Blick zurück an die Zeit des Verstummens oder nur vor leeren Rängen dann digital entfernt verfolgbarer Musik 2021, ist es ein schönes Zeichen, dass die NTR ZaterdagMatinee daran festhielt, Alessandro Scarlattis der mitleidenden und nun versöhnlich gestimmten Schutzpatronin jener Kunst gewidmeten Vespro di Santa Cecilia zum Festjahr Scarlatti2025, dem 300. Todestag des überragenden Barockkomponisten der neapolitanischen Schule, in ihr Programm zu nehmen. Wieder mit Giulio Prandis Coro e Orchestra Ghislieri, hatten die Ensembles Scarlattis 1720 kurz vor der Vesper geschriebene Messa di Santa Cecilia vor knapp vier Jahren eben noch unter Ausschluss eines Vor-Ort-Publikums im Concertgebouw geben müssen.
Beide Werke waren im Auftrag des aus Neapel stammenden Kardinalpriesters Francesco Acquaviva d’Aragona entstanden. Die Cäcilienvesper diente natürlich zur Gestaltung des Cäcilienfesttags 1721 anlässlich des damals erweiterten und fassadenerneuerten römischen Kirchenbaus unter dem Namen der Heiligen, als dessen Titularbischof Acquaviva fungierte und der zwischen 1652 und 1691 Sitz der 1585 vom Papst errichteten Musikkongregation (heute Accademia Nazionale di Santa Cecilia) war. Jene Cäcilienfeier 1721 sollte übrigens eine sehr illustre sein, wohnte ihr unter anderem der englische König George I. bei, vormaliger Hannoveraner Dienstherr Händels, der seinerseits Scarlatti, Sohnemann Domenico und Corelli 1707 bei damaligem Kardinaldiakon, Librettisten Alessandros sowie späterem Kardinaldekan und Kurienobmann der Musikkongregation Ottoboni getroffen hatte.
Dieser historische Hintergrund sei auch deshalb erwähnt, weil es Prandi nicht bei der Ehrung Scarlattis beließ, sondern die römischen Verflechtungen dadurch kontextualisierte, dass er drei von Maria Cecilia(!) Farina an der Truhenorgel gespielte Versetti Bernardo Pasquinis in die Vesper einbaute, um an diesen mit Scarlatti und Corelli zusammenarbeitenden und zum römischen Dreigestirn gehörenden Komponisten zu erinnern. Schließlich beruht ein Teil Scarlattis Sakralstils neben modernem Mit-der-Zeit-gehen und seiner berüchtigten Opernsprache samt individuell behandelten Versverbünden auf dessen römischer Oratorientradition in Fortführung Giacomo Carissimis, Scarlattis Lehrers. Zugleich erfüllten die Vorspiele den unerlässlichen Zweck der kircheninstrumentalen und somit ebenfalls cäcilienunterlegten Klangpflicht, wie in vokalliturgischer Hinsicht die dem Mitpatron Gregor gewidmeten Vesperantiphonen aus dem Antiphonarium Romanum, die die Schola Gregoriana des Ghislieri-Chors unter Leitung Renato Cadels in meditativer Schlichtheit intonierte.
Schlank, leicht, weich (vor allem im SSA-Part), knackig, wendig und damit sowohl der immer tragenden Rhythmik als auch den schnittigen, affektbehafteten Antwortkontrasten Scarlattis Ripienoverstärkungen überzeugend gewachsen waren die Merkmale des Coro Ghislieri, der zu jeder Zeit festliche Wärme und Würde, Andacht und Anmut ausstrahlte. Die finalen lobpreisenden „Gloria-Amen“-Doxologien ausdrücklich frisch unterstrichen, insbesondere mit gehörigem Schwung nochmals im insgesamt typisch prachtvollsten Magnificat, zeigte sich die fünfstimmige, aus je vier Sängern bestehende Gruppe in den reinen Chorpsalmen des Nisi Dominus und Lauda Jerusalem als ausgesprochen angenehme, der Feierlichkeit angemessen gewandte Formation.
Erwähnter Rhythmus lag beim Orchestra Ghislieri aus Streichern, Fagott und Orgel, zu denen im Dixit Dominus noch eine funkelnde Trompete sowie in den beiden Solomotetten-Antiphonen von Cantatibus organis und Valerianus in cubicolo Paolo Grazzis exakt stützende Oboe kamen, in vormachenden guten Händen. Gleichfalls die mit Concertini und Tutti stilistischen wie mit feurigerem Temperament und erhebend-kontemplativer Sanftheit beschaffenen Wechsel. Letzteren schenkte Prandi besondere Aufmerksamkeit durch artikulatorische Eleganz, wenngleich sich ab und zu minimale Intonationseintrübungen der Violinen ergaben.