Carlus Padrissa, künstlerischer Direktor bei der katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus, hat 2011 mit Turandot sein Debüt an der Münchner Staatsoper gegeben. Herausgekommen ist eine Inszenierung, die die ohnehin schon bombastische Musik Puccinis noch übertrifft. Padrissas Interpretation scheint irgendwo zwischen einem psychedelischen Trip und völliger Reizüberflutung zu liegen und setzt gleichzeitig neue Maßstäbe für innovative Regieopern. Das Ensemble der Staatsoper überzeugte darin an diesem Abend auch musikalisch.
Bereits vor Beginn wurde das Publikum mit 3D-Brillen ausgestattet, die besonders im ersten Akt den hypnotischen Projektionen auf einem riesenhaften Big Brother-Auge Räumlichkeit verleihen. Der Chor erschien in knalligen, comichaften Gewändern und die Minister Ping, Pang und Pong haben sich Leuchtmittel auf den Rücken geschnallt. Als fast schon normal nahm man in dieser Szenerie die Schlittschuhläuferinnen wahr, die die erste Massenszene bevölkerten. Der Ort, an dem man sich befindet, lässt sich schwer fassen (soll man es das überhaupt?). Futuristisch, in beißendes LED-Licht getaucht oder im dritten Akt als schmutziges, von Leuchtreklame überflutetes Chinatown – wirklich wohl fühlt man sich in keiner der Umgebungen. Da Padrissa darauf verzichtet, das nicht mehr von Puccini vollendete Finale des dritten Aktes zu inszenieren, endet die Oper mit dem Tod Liùs in einer endlich friedlichen, natürlichen Bambusumwelt.
Padrissas Inszenierung hält so viele Details bereit, die das ein oder andere Mal ins Groteske ausarten (so googelt zum Beispiel Kalaf Turandots Rätsel auf einem Tablet), schafft es dabei aber, den Kern der Oper – die Wandlung Turandots von der Eiskönigin zu einer Prinzessin mit menschlichen Gefühlen – auf eindrucksvolle Weise darzustellen. In riesigen Brocken bricht ein projizierter Eisberg hinter Turandot zusammen, als ihre Rätsel gelöst sind. Auch ihr stählernes Kostüm, das im zweiten Akt wie eine Discokugel Lichtpunkte ins Publikum wirft, legt sie im dritten Akt ab und wirkt in dem fließenden Kleid nun nahbar und verletzlich.
Gesanglich bot Elena Pankratova eine ausdrucksstarke, furiose Turandot. Die Höhen bekamen bei ihr wirklich die notwendige Dramatik, allerdings blieb sie in der Mittellage nicht ganz so klangstark. Die unnahbare Eisprinzessin gelang ihr dabei aber mehr als überzeugend, indem sie ihrer Stimme ein stählernes Timbre verlieh und mit unermüdlicher Kraft die Spitzentöne abfeuerte. Erst im dritten Akt wurde ihr Ausdruck, wie ihr Kostüm, verletzlicher und Pankratova gab auch ihrem Timbre etwas Weiches. In der Rolle des Kalaf sang Yonghoon Lee jede seiner Noten, als wären sie seine letzten und verlieh seinem Klang etwas Unerbittliches, was er bis in seine Spitzentöne beibehielt. Das half in den dramatischen Passagen ungemein; sein „Non piangere, Liù“ hätte dabei aber etwas mehr Feinfühligkeit vertragen können. Im „Nessun dorma“ konnte er aber wieder mit der Dramatik glänzen und mit diesem „Hit“ vollkommen überzeugen.