Auch bei Münchens größtem Klassik-Openair ist nach zwei Jahren Pandemie wieder Normalität eingekehrt. Wie eng es eigentlich schon immer auf dem Odeonsplatz zugegangen ist, hatte man nach den Ausnahmekonzerten des vergangenen Jahres, als lediglich 2.000 statt 8.000 Zuhörer zugelassen waren, glatt vergessen. Nun lauscht man am Samstagabend also sardinenbüchsenartig den Münchner Philharmonikern unter der Leitung von Daniel Harding. Der Brite war für den politisch nicht mehr tragbaren Valery Gergiev eingesprungen, der sich für das Prestigekonzert in den vergangenen Jahren eigentlich immer den Terminkalender freigehalten hatte. Harding indes ist auch erfahrener Odeonsplatz-Dirigent – allerdings bisher nur mit den Kollegen des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks.
Mit den Münchner Philharmonikern zeigte Harding zwei Klassiker des romantischen Repertoires: Antonín Dvořáks Neunte Symphonie und Tschaikowskys Violinkonzert. Die Münchner hatten dafür Geiger Leonidas Kavakos eingeladen, der dem Werk eine merkwürdige Neuinterpretation verpasste. Zu Beginn des Kopfsatzes klang da noch Vieles nach vibratosatter Romantik, wandelte sich aber bald zu einem eigenwilligen Parforceritt durch Tschaikowskys anspruchsvolle Partitur. Fast gewann man den Eindruck, als erhebe Kavakos die Leichtigkeit, mit der er über die Läufe, Doppelgriffe und Triller hinwegwischt, zum Wert an sich. Dass Kavakos das Ganze in technischer Perfektion darbot, versteht sich von selbst. Es wirkte gerade im höllisch flott genommen Finalsatz wie ein grotesker Gruß an all jene frühen Interpreten, die befanden, das Werk sei unspielbar.
Ärgerlich war dabei, dass Kavakos, der sich um eine sehr differenzierte dynamische Gestaltung bemühte, merkwürdig blechern verstärkt wurde und folglich zumindest im Zuhörerblock B recht schmalbrüstig klang. Beim Orchester war die Tontechnik deutlich detaillierter vorgegangen und leuchtete den Klang der Münchner Philharmoniker wunderbar aus.
Harding begleitete Kavakos sehr aufmerksam, ging auf die vielen Ideen – etwa verschiedene Tempoverzögerungen – ein und ließ das Orchester besonders in der Canzonetta wunderbar lyrisch singen. Am Ende stand eine Interpretation, die die üblichen Hörgewohnheiten auf die Probe stellte. Besonders in den virtuosen Passagen machte Kavakos deutlich, wie schroff dieses Werk klingen kann und man bekam einen Eindruck davon, warum die ersten Kritiker das Werk als „brutal“ oder „wüst“ bezeichnet hatten. Ratlos stimmte dagegen, warum Kavakos diesen mutigen Ansatz passagenweise mit altbackener Vibratoseeligkeit garnierte.
Konziser gelang den Philharmonikern und Harding dagegen Dvořáks Neunte nach der Pause. Dass Harding ein Händchen für dramatisch zupackende Interpretationen hat, hat der Brite in München schon des Öfteren bewiesen. Auch bei dem Repertoirestück ging er die Partitur angenehm unsentimental an – etwa im berühmten Largo, das er zügig dirigieret. Dabei ging den Philharmonikern allerdings nicht die Luftigkeit im Klang verloren und gleichzeitig klang die Musik besonders spannungsreich. Genau so locker konzipierte Harding das folgende Scherzo, das mit seinem tänzerischen Charakter mehr als manch andere Interpretation die Brücke von der neuen Welt in die böhmische Heimat des Komponisten schlug. Folgerichtig gab es dann auch den sehnsüchtigen Slawischen Tanz Nr. 2 aus dem zweiten Band Op.72 als Zugabe, bevor Harding den Abend beschwingt mit Johann Strauss‘ Tritsch-Tratsch-Polka ausklingen ließ.