Wie kann man einem Team von außergewöhnlichen Künstler*innen gerecht werden in einer Rezension von einem einzigen Abend? Wie soll ich ein Musiktheaterstück beschreiben, deren Buchvorlage größtenteils aus einer Kombination von Episoden, polemischen Schriften und Aphorismen besteht? Es geht hier um The Faggots and Their Friends Between Revolutions, eine Vorstellung im Rahmen des diesjährigen Holland Festivals nach dem gleichnamigen Kultroman von Larry Mitchell und Ned Asta aus dem Jahr 1977. Das Buch ist ein Mix aus Märchen und Manifest, und erzählt eine Vision der Weltgeschichte durch die regenbogenfarbige Brille der LGBTIQA+ Gemeinschaft.

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Kit Green
© Tristram Kenton

Mit einer einzigartig vielseitigen Besetzung aus Schauspieler*innen, Sänger*innen, Tänzer*innen und Musiker*innen überarbeiteten der in Berlin ansässige Komponist Philip Venables und Regisseur Ted Huffman den Originaltext zu einer provozierenden, aber gleichzeitig sehr kurzweiligen kaleidoskopischen Reise.

Der Abend beginnt unkonventionell. Eine bis zur Brandmauer offene Bühne gibt den Blick frei auf diverse Instrumente: Röhrenglocken, ein Klavier auf Rollen, Cembalo, Orgel,... Conférencier Kit Green im grellroten Abendkleid kommt mit ihren Kolleg*innen scherzend zwanglos auf die Szene während das Publikum noch auf dem Weg zu ihren Plätzen ist. Die 15 Musikakteur*innen nehmen in unterschiedlichsten Kostümen langsam ihre Plätze ein. Dann wird das Klavier in die Bühnenmitte gerollt und Sopran Mariamielle Lamagat schlägt einen Ton an. Erst nach langer Pause, während ich fürchtete, dass sie ihren Ton schon lange vergessen hätte, beginnt sie ihr gefühlvolles Solo und damit ein Abend der Gegensätze und vielfältiger Überraschungen.

Deepa Johnny, Meriel Price, Collin Shay, K. Green, Sally Swanson, Conor Gricmanis, Katherine Goforth © Tristram Kenton
Deepa Johnny, Meriel Price, Collin Shay, K. Green, Sally Swanson, Conor Gricmanis, Katherine Goforth
© Tristram Kenton

Wie komisch und rührend zugleich war es, als alle Musiker*innen Geige spielten und auf den offenen vier Saiten einen eigentümlich rührendes Lied begleiteten. Wie mitreißend war es als Green das gesamte Publikum mühelos überredete, gemeinsam ein Lied zu singen auf einen nicht misszuverstehenden Text gegen die herrschende Geschlechterauffassung.

Yandess tanzte akrobatisch, Kerry Bursey sang sich selbst auf der Theorbe begleitend wie ein mythischer Minnesänger, der mittels einer Zeitmaschine mit eingebauter AI in einen erfolgreichen Liedermacher transformiert wurde. Während alle anderen zusammen sangen und tanzten, lief Bursey wie in Gedanken versunken in seiner eigenen Welt musizierend im Bühnenhintergrund. Dabei war er nur in den kurzen Pausen des Ensembles wirklich zu hören. Poetischer und eindrucksvoller kann man kein Hohelied auf den künstlerischen Individualismus singen.

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Sally Swanson und Jacob Garside
© Tristram Kenton

Jacob Garside entlockte seiner Gambe mit ebenso eleganten wie kräftigen Bogenstrichen Töne nicht nur aus längst vergangenen Zeiten und hatte darin in dem Barockgeiger Conor Gricmanis einen mehr als ebenbürtigen Komplizen. Gricmanis’ Melodien und Improvisationen liefen wie ein roter verführerischer Draht durch die Vorstellung. Als Gegengewicht spielte Meriel Price Saxophon und sie wurde, wie auch Altus Eric Lamb, auf der Flöte im Laufe des Abends von mehreren Mitspieler*innen auf Piccolo und Bassflöte begleitet.

Es gab sowieso keine festgelegten Rollen. Fast alle Musiker*innen spielten mehrere Instrumente, fast alle Sänger*innen hatten beeindruckende Soloauftritte (Deepa Johnny, Collin Shay!) und neben der offiziellen Dirigentin und Cembalistin Yshani Perinpanayagam dirigierten Bariton Themba Mvula und andere ebenso überzeugend.

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Kit Green und Yandass
© Tristram Kenton

Venables’ abwechslungsreiche eigensinnige Musik ist schwer zu beschreiben: er lässt Lautenlieder aus der Renaissance ebenso anklingen wie Community Art Trommeln und Hip-hop. A Cappella Gruppenimprovisationen kommen darin ebenso vor wie Revolutionslieder, Bossa Nova, Techno, Cheerleading und Raves.

Getragen wird diese unter die Haut gehende Vorstellung durch eine eigenartige Mischung von Fantasie und Mut. Und sie wirft Fragen auf: Was wäre, wenn wir uns alle trauten, Feen und unwiderstehliche Held*innen zu sein? Was wäre wenn wir nicht nur im Theater miteinander sängen, in den Momenten wo uns der Mut zu verlassen droht?

In Deutschland ist diese Vorstellung noch im Rahmen der Ruhrtriennale zu sehen. Auch wenn der Abend etwas düster endet, es lohnt sich!

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