Die Zauberflöte gehört in Wien – zusammen mit dem Rosenkavalier und der Fledermaus – zu den musikdramatischen Nationalheiligtümern. Kein Wunder also, dass Neuinszenierungen kritisch beäugt werden, weil alle meinen, sie gut zu kennen. Eine meiner Großtanten echauffierte sich etwa noch Jahrzehnte später, in den Fünfzigern eine angeblich nicht werkgetreue Inszenierung gesehen zu haben.
Darüber kann man heute nur milde lächeln, doch die Diskussionen über das Werk und dessen Umsetzung bleiben immer noch spannend. Die Zauberflöte wirft mehr Lebensfragen auf, als sie schlüssig beantwortet, und genau das liefert einer Regisseurin wie Barbora Horáková reichlich Ideen. Inhaltlich hat sie sich entschieden, in ihrer Inszenierung an der Wiener Staatsoper das Leben an sich in den Mittelpunkt zu stellen, und das Prüfungsthema als Lebensreise zu schildern, in der Tamino und Pamina im Zeitraffer altern – eine Idee, die ihren wirksamsten Moment in der Feuer- und Wasserprobe hat: Beide tragen lebensgroße, uralte Puppen ihrer selbst am Rücken, die sie nach bestandener Probe voneinander lösen und in den Bühnenhimmel auffahren lassen.
Immer wieder kommen überraschende und effektvolle Videos zum Einsatz, häufig in der Optik von Kreidezeichnungen auf einer schwarzen Schultafel, was gut zum Märchenhaften des Stücks passt. Das vereinfacht die Schauplatzwechsel und sorgt für einige schöne Tableaus, die mit der Bühnenrealität verschmelzen, etwa wenn Pamina und Papageno am Ende von „Bei Männern, welche Liebe fühlen“ auf einem Tandem davonradeln. Dem Wortlaut „Weib und Mann“ folgend, sitzt Pamina dabei vorn.

Ein starkes Bild bietet auch der Schluss, die Ähnlichkeit mit dem Fidelio-Finale von Altmeister Otto Schenk hat (dessen Begräbnis just am Tag der besprochenen Aufführung stattfand): Beide Schlussbilder zeigen Freude und Freiheit vor einem Horizont, der neue Möglichkeiten verspricht. Dabei sind bei Horáková die Fesseln von Stand, Geschlecht und alten Feindschaften gesprengt: Der Geschlechterkampf endet mit einem klaren Unentschieden, alle tragen Alltagskleidung und haben sich lieb, sogar Sarastro und die Königin der Nacht. Die humanistische Botschaft dahinter – dass Menschen immer Menschen sind, egal welche Rolle sie spielen, bleibt ewig wichtig.
Auch die warme Beleuchtung dieser Schluss-Szene lässt nach sehr viel Grau (und etwas Grauen) aufatmen. Wer mag, kann auch eine Parallele zur Idee der Aufklärung ziehen, die die Menschen aus dem Dunkel zu Licht führen will. Das viele Grau hat aber auch ganz praktische Gründe, denn diese Zauberflöte spielt in und um ein Spukhaus bei Nacht, in dem zunächst die Drei Knaben Fahrrad fahren und die die Drei Damen mit viel schwarzer Augenschminke ein wenig wie Morticia Addams 2.0 wirken. Völlig überzeugend sind aber leider weder die einen noch die anderen. Die prominent besetzten Damen (Jenni Hietala, Alma Neuhaus und Stephanie Maitland) klingen zwar in ihren Solostellen so wie erwartet, im Terzett aber unausgewogen.
Insgesamt ist der musikalische Eindruck für eine Neuinszenierung unterdurchschnittlich, da man schon bessere Repertoireleistungen gehört hat. Als Einspringer für Franz Welser-Möst lässt Bertrand de Billy wieder einmal ein rigoroses Dirigat hören, so als wollte er den ersten Aufzug möglichst schnell hinter sich bringen.
Das beeinträchtigt vieles, natürlich auch Ludwig Mittelhammers Auftrittsarie als Papageno, obwohl sich der Sänger wacker schlägt. Bei diesem musikalischen Knallhart-Kurs kann aber niemand locker bleiben, auch wenn Mittelhammer den Wiener Dialekt und die Darstellung eines Betrunkenen geschickt meistert.
Regiebedingt tritt er eleganter als Julian Prégardien auf, dessen Tamino die Bildnisarie in weiten Boxershorts zu singen hat. Man hört diesem lyrischen Tenor, der als Liedersänger eine Klasse für sich ist, sehr gerne zu, und auch darstellerisch übertrifft er in seiner Paraderolle viele andere Taminos. Dennoch vermitteln beide Sänger (die mit Welser-Möst durch vergangene Projekte künstlerisch verbunden sind) ein wenig den Eindruck, dass sie sich wie im falschen Film vorkommen; das kann aber auch ein bewusster Effekt der Regie im Hinblick auf die Wirrungen der Zauberflöte sein.
Mit Slávka Zámečníkovás Pamina bildet Prégardien jedenfalls ein sensationell wohlklingendes Duo. Generell bezaubert sie mit Stimmschönheit und einer so nahbaren Darstellung, dass man sie fast „Pam“ nennen möchte. Einen weniger abgehobenen Sarastro als üblich gibt Georg Zeppenfeld, dessen stimmliche Autorität ihn über alle Zweifel erhebt. Er hat auch sichtlich Spaß daran, seinen ersten Auftritt als optische Persiflage auf die Königin der Nacht zu absolvieren, bevor er im Anzug den politisierenden Vorsitzenden eines Herrenclubs zu mimen muss.
Weniger beglückt Serena Sáenz als Königin der Nacht – so wie bei ihrer Olympia wird man den Eindruck nicht los, dass sie Koloratur zwar kann, diese aber nicht ihre größte Stärke ist. Ilia Staples Geplauder als liebesbedürftige Alte ist demgegenüber ebenso köstlich wie ihr Gezwitscher als junge Papagena. Auch der Sprecher (Jochen Schmeckenbecher) und Erste Priester (Adrian Autard) sorgen in Nosferatu-Aufmachung für Unterhaltung. Als Monostatos hat Charaktertenor Matthäus Schmidlechner ein vom Kohlenkeller geschwärztes Gesicht, womit sich eine Blackfacing-Debatte erübrigt und seine ansprechende Darstellung zwischen Bösewicht und Bossing-Opfer im Vordergrund steht.