In dieser Inszenierung von Mozarts Così fan tutte gibt es zur Musik der Ouvertüre den Epilog zur Handlung: Nach etlichen Jahren haben sich die beiden Paare, Dorabella/Ferrando und Fiordiligi/Guglielmo, wieder einmal getroffen und diesmal Tochter bzw. Sohn mitgebracht. Schnell funkt es zwischen den beiden Teenagern und sie beginnen wild zu knutschen. Da packt die Eltern das blanke Entsetzen und sie reißen die Jugendlichen auseinander. Warum? Das ahnt, wer die Oper kennt. Denn offenbar hatte der Partnertausch seinerzeit gewisse Folgen. Was natürlich ein gut gehütetes Geheimnis blieb.
Das ist eine tolle Pointe für diese Oper eines zynischen Experiments, in dem zwei Männer jeweils über Kreuz die Treue ihrer Partnerin erproben. Das Ergebnis: fatalerweise finden sich dadurch erst die Richtigen. Aber das Libretto sieht vor, dass im Finale die ursprüngliche Konstellation wieder hergestellt wird, wobei offen bleibt, wie das gutgehen soll. Regisseurin Nilufar Münzing bietet nun eine Antwort am Badischen Staatstheater Karlsruhe, die gut für die Zeit passt, in der sie die Handlung ansiedelt: in den 1960er Jahren mit ihrem starren Familienbild und der fehlenden Emanzipation der Geschlechter. Sie verändert mit diesem Kniff nichts am Text, erzählt ihn aber für uns heute schlüssig und überzeugend.
Die Regisseurin und auch Kostümbildnerin Britta Lammers treffen die Stimmung jener Jahre genau. Im Outfit wie im Verhalten, vor allem die Klischees der Geschlechterrollen: machistische Männer und Frauen, die zu ihnen aufschauen. Was an Gefühlen gezeigt wird, wirkt merkwürdig aufgesetzt: die naive Verliebtheit, die gegenseitigen Treueschwüre, der Abschiedsschmerz, wenn die Männer plötzlich in den Krieg müssen. Alles wirkt irgendwie unecht und die Regie zeigt es mit ironischem Unterton, wenn auch mitunter etwas dick aufgetragen. Alles ist ein bisschen wie aus der Traumfabrik.
Soweit im ersten Akt. Zu sich selbst kommen die Figuren dann im Verlauf des zweiten, wenn die Gefühle auf die Probe gestellt werden. Dorabella und Guglielmo werden schnell einig, das erotische Abenteuer gehen sie ohne großes Zögern ein. Dass er die Partnerin seines Freundes so leicht herumgekriegt hat, ist für Guglielmo der Beweis für die Untreue der Frauen: sie treiben's eben mit allen! Breitbeinig posaunt er das aus, ohne seine Doppelmoral dabei zu bemerken, hatte er doch auch seinen Spaß dabei. Die Regie zeigt es ungeschminkt und konterkariert so zu Recht den Titel der Oper – Così fan tutte: So machen's alle Frauen.
Anders das zweite Paar: Fiordiligi und Ferrando. In der Begegnung mit dem/der Anderen entdecken sie beide ihre empfindsame Seite: Ferrando in der liebevollen Arie „Un'aura amorosa” und Fiordiligi sucht Selbstvergewisserung in der großen Szene mit dem Rondo „Per pieta, ben mio, perdona”. Doch dann wird auch sie schwach und läuft förmlich über und dem um sie werbenden Ferrando in die Arme. Ein kleines Detail macht es noch spannender, denn von ihm unbemerkt hat sie erkannt, wer er wirklich ist, da er kurz seine Verkleidung abgelegt hatte. Es ist also ihre ganz bewusste Entscheidung für diesen Mann und nicht für irgendeinen Fremden, als die das frivole Spiel Alfonsos und Despinas die beiden Männer ausgegeben hat. So kippt die oberflächliche Komik des Anfangs allmählich in den Ernst einer echten Gefühlsachterbahn.

Die Karlsruher Produktion bot für dieses diffizile Spiel hervorragende Darstellerinnen und Darsteller auf, die von der Regie präzise geführt werden: Dorabella spontan, eher risikobereit und leichtlebig; Fiordiligi reflektiert, prinzipientreu und länger zögerlich. Auch sängerisch präsentierte sich das Ensemble homogen, wie es diese Handlungskonstellation erfordert. Hätten auch die Stimmfärbungen der beiden Frauen kontrastreicher sein können, so sangen sie doch in ihren Duetten auf Augenhöhe und in harmonischem Gleichklang. Eliza Boom (Gast in diesem Ensemble) als Fiordiligi meisterte die gefährlichen Klippen ihrer Partie bravourös. Die gefürchteten Oktav-Stürze stützte sie elegant durch absteigende Verzierungen ab. Florence Losseau als Dorabella beherrschte wunderbar die Leichtigkeit ihrer Partie. Der Tenor von Eleazar Rodriguez war im Timbre eher herb, verfügte aber über ein schönes Legato. Handfest und demonstrativ viril gab Oğulcan Yılmaz seine Rolle als Guglielmo mit kräftigem Bariton.
Als Alfonso, dem Erfinder dieses zynischen Spiels mit den Gefühlen, war Renatus Mészàr weniger der zuschauende Philosoph, als der unermüdliche Antreiber; fast ein Mephisto, der Gelegenheiten schafft und sich am angerichteten Leid erfreut. Am Schluss aber biegt er alles wieder so hin, als wäre eigentlich nicht viel geschehen. Als Despina gab Uliana Alexyuk hervorragend auch als falscher Doktor und falscher Notar die unvermeidlichen Einlagen besonderer Komik. Ihre zwei Arien blitzten voller verschmitztem Humor. Mit flotten Tempi, mehr pointiert als nuanciert, aber untrüglich sicher leitete Johannes Willig die Badische Staatskapelle. Etwas mehr Klangrede wäre allerdings wünschenswert gewesen.
Alles in allem aber zeigte diese Inszenierung in ihrem klarem Setting, einer präzisen Personenführung und den überzeugenden Solistinnen und Solisten, dass Così fan tutte gerade im Hinblick auf die Geschlechterfrage noch längst nicht auserzählt ist.